Zitadelle des Wächters
denn seinen Standort?“ Varians Pfeife war ausgegangen. Hart klopfte er die verbrannte Glut aus dem Pfeifenkopf, ohne dabei den Blick von Kartaphilos zu wenden.
„Ich kannte ihn. Zu einer Zeit wußte ich mehr von dieser Sache, als ich dir jetzt erzählen konnte. Meine … meine Mission lautete, die Zitadelle zu verlassen und Hilfe zu bringen. Ich sollte nicht eher zurückkehren, bis ich Unterstützung brächte.“
„Wovon redest du eigentlich?“ Varians Herz hämmerte wild, und er fühlte, wie seine Brust sich zusammenzog. Er konnte sich keinen guten Grund vorstellen, warum er diesem alten Mann Glauben schenken sollte. Und trotzdem glaubte er daran. „Was ist die Zitadelle’?“
„Der Standort des Wächters. Begreifst du noch immer nicht? Der Wächter hat mich zum Herbeiholen von Unterstützung ausgeschickt. Ich … ich habe versagt. Da standen eine Maschinenkolonne und Entsatztruppen der Riken. Sie haben mich vom Himmel geschossen, sind mir auf die Spur gekommen. Und ich mußte meinen Grips und meine wenigen Verteidigungssysteme einsetzen, um zu entkommen und mich zu heilen. Aber danach stellte ich fest, daß etwas nicht mehr stimmte. Amnesie nennt man das, glaube ich. Ein Schaden am Erinnerungsvermögen. Ich konnte mich nicht mehr an alles erinnern! Für eine Zeit konnte ich mich an nichts mehr erinnern, dann fielen die Stücke wie bei einem Puzzle wieder an ihren Platz zurück, aber leider nicht alle. Ich wußte nicht, wohin ich gehen sollte, um Unterstützung zu finden, und ich wußte nicht, wohin ich zurückkehren sollte …“
Varian beobachtete das Gesicht des alten Mannes genau. Die Züge waren verhärmt, zerfurcht von Alter, Angst und Traurigkeit. Er sagte die Wahrheit, dieser Kartaphilos.
„Ich glaube dir“, sagte Varian. „Aber warum erzählst du das gerade mir?“
„Die Zeit verstreicht, und ich kann mich noch immer nicht an mehr erinnern. Ich bin zu der Erkenntnis gekommen, daß ich alleine nie mehr zum Wächter zurückfinden kann. Statt dessen durchwandere ich die Nationen und suche nach Menschen, die gewitzt genug, wißbegierig genug und stark genug sind, die Suche aufzunehmen.“
„Du meinst, ich bin nicht der einzige, dem du das erzählt hast?“
„Sei nicht beleidigt, aber das habe ich nicht – Hunderte waren es, glaube ich. Es hätten auch andere Möglichkeiten bestanden: Ich hätte mich als Prophet oder eine ähnliche Figur von Odo ausgeben, jahrelang eine Schar von Jüngern um mich scharen, einiges religiöses Beiwerk um die Fakten flechten können, ein bißchen Magie, ein paar Legenden. Und so hätte ich … einen Kreuzzug ins Leben gerufen. Tausende von Pilgern und Gläubigen hätten das Land auf der Suche nach dem Verlorenen Gott durchstreift oder ähnlichen Blödsinn betrieben. Aber ich glaube, das ist es nicht, was der Wächter im Sinn hatte, als er mich nach Verstärkung ausschickte …“ Kartaphilos lächelte dünn.
„Aber das muß doch schon sehr lange her sein! Du kannst nicht der sein, der du vorgibst zu sein. Du kannst nicht so alt sein!“
„Das bin ich aber.“
„Der Krieg ist vorbei. Alle sind tot, schon lange tot! Auch der Wächter müßte schon lange …“
„Nein!“ Kartaphilos stieß das Wort mit solcher Macht aus, daß Varian erschrocken schwieg, als habe er etwas Blasphemisches ausgesprochen. „Nein, er lebt! Ich weiß es! Ich fühle es!“
Varian lächelte. Die Geschichte hatte sehr überzeugend geklungen. Der alte Mann hatte durchaus ein schauspielerisches Talent voller Details und Nuancen und Gesten. Und er hatte nur so viele Informationen preisgegeben, daß der Appetit der Neugierde erwachen konnte, damit die eigene Vorstellungskraft die Möglichkeit hatte, die Lücken mit Eigenem zu füllen. Fast hätte es geklappt.
„Nein, Alterchen. Du redest Unsinn. Was du sagst, kann unmöglich sein.“
Ein Ausdruck trat in Kartaphilos Augen, der alles bedeuten konnte: Ärger, Haß oder vielleicht Wahnsinn. Was auch immer es war, es gefiel Varian nicht. Langsam wanderten Varians Hände zum Knauf seines Schwertes hinunter.
Aber der alte Mann machte keinen Schritt auf ihn zu. Sein Gesicht verwandelte sich in eine entsetzliche Fratze, und die Stimme, die jetzt ertönte, klang leise und kaum mehr menschenähnlich. „Es ist die Wahrheit. Und das werde ich dir beweisen.“
„Wovon redest du eigentlich?“
Varian trat unwillkürlich einen Schritt zurück, als Kartaphilos sich am Halsverschluß seiner Robe zu schaffen machte. Seine verschrumpelten,
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