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Zitadelle des Wächters

Zitadelle des Wächters

Titel: Zitadelle des Wächters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas F. Monteleone
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sich gegenseitig ’n paar neue Bilderchen in die Haut gestanzt, nicht wahr, mein Freund?“
    Wieder lachte der Alte und bedeutete dem kleinen, dunklen Raim, die Messerstiche auf seiner dunklen Brust zu zeigen. Nach einer anerkennenden Runde von Ooohs und Aaahs fuhr der alte Mann mit seiner Geschichte fort: eine nicht enden wollende, ausgelassene Räuberpistole zur See. Varian hörte gespannt zu, obwohl er ja selbst zur See gefahren war.
    Varian hörte schon seit Jahren solche Seemannsgarn-Geschichten. Nur wenn man nicht um die Welt segelte oder häufiger die Wasserlöcher freundlicher Nomaden aufsuchte, blieb man von solchen Geschichten verschont. Aber bei diesem Mann hier war alles etwas anders – seine Vortragskunst, sein Erzählstil und vor allem seine ganze Erscheinung. Er sah wirklich so aus, als hätte er all das erlebt, wovon er erzählte. Varians offenes Auge für Details bemerkte wohl die schweren, schwieligen Hände, die Charakterzüge in seinem Gesicht, die jungen, lebhaften Augen und die großen Muskelpakete an Schultern und Nacken. Dieser Alte war ein Mann der Tat und der Erfahrung. Sein Talent zum Erzählen war nur eine farbige, zusätzliche Eigenschaft, ein weiterer Anziehungspunkt.
    „Was ist los?“ fragte Tessa und streckte die Hand aus, um Varians Ärmel zu berühren.
    „Och, gar nichts. Ich habe nur den Alten beobachtet und ihm etwas zugehört …“
    Tessa lachte und trank aus ihrem Glas. „Du glaubst das doch nicht etwa, oder?“
    „Nein, nicht alles. Ich glaube nie alles, egal wer mir was erzählt.“
    „Aber manche Sachen doch, oder?“
    „Natürlich.“ Varian zeigte auf den alten Mann. „Sieh ihn dir nur mal an. Ich meine, sieh ihn dir mal richtig an. Er ist kein Aufschneider. Er ist wirklich dort gewesen – wo immer das auch gewesen sein mag. Wirkt er nicht wie Ques’Ryad selbst? Ihn umgibt der Geruch und die Ausstrahlung des Abenteuers – und auch der Gefahr.“
    „Varian, langsam meine ich, du glaubst ihm doch!“ Tessa lächelte ihn provozierend und vorwurfsvoll an.
    „Er ist eine interessante Persönlichkeit, das kannst du nicht abstreiten“, sagte Varian und sah wieder zu dem Tisch hinüber, wo die Geschichte fortgesetzt wurde.
    „… manche behaupten, es seien Golems gewesen, aber höchstwahrscheinlich waren es gar keine lebendigen Wesen“, sagte der Alte gerade. Seine Augen glitten unheilvoll in ihren Höhlen vor und zurück. „Bei allem, was mir heilig ist, es waren Roboter!“
    Jemand in der Menge lachte los, und rasch folgten das schallende Gröhlen und die zweifelnden Äußerungen der anderen. Varian dagegen spürte, wie sich alles in ihm beim Klang dieses Wortes verkrampfte.
    „Ihr glaubt mir also nicht! Wie soll ich es euch beweisen? Ich weiß, daß es Roboter gewesen sein könnten, denn ich selbst habe einen gesehen!“
    Das Gelächter steigerte sich noch, und die Kommentare wurden lauter. Die Menge glaubte, der Alte wolle sie jetzt mit einer neuen Rolle foppen, indem er vom aufschneiderischen Geschichtenerzähler zum Clown oder Possenreißer überwechselte.
    Alle lachten, nur Varian nicht. Unvermittelt war er in Gedanken wieder an Bord der Courtesan, damals, als das … das Ding seine Kleider zurückgezogen hatte und eine Bernsteinglas-Brust präsentierte, das Flimmern der aufgedruckten Stromkreise und LEDs.
    „Nein, es stimmt, wenn ich es euch doch sage!“ rief der Alte. „Ihr könnt Raim hier fragen. Er hat ihn auch zu Gesicht bekommen!“
    Raim nickte ruhig.
    „Ich kehrte gerade aus der Wildnis nördlich von Shudrapur Dominion zurück. Raim war auch dabei, und wir suchten nach Stücken aus der Ersten Zeit für einen Kaufmann in Borat. Wir hatten bis dahin noch nichts gefunden, als wir an einer Grenzsiedlung vorbeikamen – etwa fünfhundert Kas von Babir gelegen –, und wir kamen mit ’n paar Dorfbewohnern ins Gespräch. Man lernt es mit der Zeit, den Dörflern aufs Maul zu gucken. Die können vielleicht nicht so schön erzählen wie wir. Aber es ergibt meistens einiges an Sinn, wenn sie den Mund aufmachen. Und die haben kein Interesse daran, jemanden zu beeindrucken. Will damit sagen, die lügen nicht – haben einfach keinen Grund dazu.“
    Der Mann im Silberpelz hielt inne, um aus seinem sehr großen Glas zu trinken. Varian konnte die Aufregung und die Angst spüren, die in der Luft hingen. Und er spürte die Erwartungen aller Zuhörer, was diese Geschichte anging. Tessa berührte Varians Handgelenk, und er zuckte zusammen.
    „Na, jedenfalls

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