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Zitronen im Mondschein

Zitronen im Mondschein

Titel: Zitronen im Mondschein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mayer Gina
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ihre Knie in den grauen Wollstrümpfen ragten in spitzem Winkel zur Zeltdecke wie etwas, das nicht zu ihr gehörte.
    »Nein, geh nicht, lass mich nicht allein«, flehte sie ihn an. »Ich kann es nicht ertragen ohne dich.«
    Dann begann sie wieder zu schreien, und ihre große Hand klammerte sich um seine Zwergenhand. Sie schrie so laut, dass die alte Marthe es hörte und Domenica und Silvia auch. Als sie jedoch alle drei ins Zelt gerannt kamen, hatte Maria ihr Kind bereits geboren, und nur Mirko war dabei gewesen. Er beugte sich voller Verwunderung über das kleine, blutige Wesen und wollte es gerade hochnehmen, als ihn die spitzen Schreie der Frauen daran hinderten.
    »Raus aus dem Zelt, wird’s bald!«, herrschte ihn Marthe an. Ihr Kropf war ganz rot und zitterte vor Empörung. »Ein Mannsbild hat bei einer Geburt nichts verloren. Das ist ein Skandal!«
    Sie nabelten den Säugling ab und wickelten ihn in ein sauberes Laken, und während das Badewasser erhitzt wurde, legten sie das Bündel Maria in den Arm. »Es ist ein Mädchen«, sagte Marthe, die sehr gekränkt war, dass sie die eigentliche Geburt verpasst hatte.
    »Sie ist bezaubernd«, log Silvia, obwohl das Kind rot und verquollen und voller Schleim war.
    »Wie soll sie denn heißen?«, fragte Domenica.
    »Mirabella«, sagte Maria. Das hatte sie schon lange entschieden. Wenn es ein Mädchen würde, sollte es Mirabella heißen. Denn
mira
hieß
schau
, und
bella
bedeutete
schön
, das eine war spanisch und das andere italienisch, und beides zusammen war der perfekte Name für das Kind einer Seherin.
    Schau, wie schön. Mirabella.

II.
    Marias Liebe zu Ludwig war mit jedem Jahr stärker geworden. Sie war sich ganz sicher, dass es für jede Frau einen Mann gab und für jeden Mann eine Frau, dass es also für jeden Menschen einen anderen Menschen gab, zwei, die füreinander geschaffen waren. Früher oder später führte einen das Schicksal zusammen, mit etwas Glück traf man sich nicht allzu spät im Leben, so dass man gemeinsam etwas aufbauen konnte, mit etwas Pech begegnete man sich sehr spät. Sie und Ludwig waren sich früh begegnet, aber nach Madame Argents Prophezeiung hatte sie ihn verlassen müssen, um sein Leben zu retten.
    Im Alter von zwanzig Jahren war sie quasi zur Witwe geworden, ihr Liebesleben war beendet. Was allerdings nicht bedeutete, dass sie sich nicht mehr mit Männern einließ. Sie war jung, schön und begehrenswert und hatte mehr als genug Chancen, die sie auch hin und wieder ergriff. Sie fing jedoch niemals etwas mit einem Mann aus dem Zirkus an. Das eisige Schweigen, die kalten Blicke, die sie verfolgt hatten, nachdem sie Ludwig weggeschickt hatte, waren ihr noch zu gut in Erinnerung. Sie suchte sich ihre Liebhaber in den Städten, in denen der Zirkus Station machte. Am ersten Abend lernte man sich kennen, am zweiten Abend ließ sie sich ausführen, am dritten oder vierten Abend ging sie mit ihm nach Hause, wenn er sie nicht schon langweilte. Am sechsten Abend beendete sie die Affäre, denn am nächsten Morgen reiste der Zirkus weiter.
    Sie nahm die Männer niemals mit in ihr Zelt, auch wenn Mirabella bei Marthe oder bei Mirko schlief, wenn sie ausging. Sie begab sich zu ihnen nach Hause oder in ein Hotel, wenn sie verheiratet waren. Sie war sehr wählerisch, auch wenn es nur um eine Nacht ging oder zwei, ließ sie sich nur auf Männer ein, die ihr wirklich gefielen. Natürlich konnte sich keiner von ihnen auch nur im Entferntesten mit Ludwig messen.
    Im Juni gastierten sie in Tübingen. Maria gefiel die Stadt, weil sie ihr gediegener Protestantismus an Ludwig erinnerte, obwohl dieser aus Stuttgart stammte und sein
bourgeoises
Elternhaus immer verachtet hatte. Man kann aber seine Wurzeln nicht verleugnen, so sehr man sie auch bekämpft, dachte Maria, während sie abends in ihr rotes Sommerkleid schlüpfte, das ein bisschen eng geworden war.
    Sie zupfte die weiße Spitze an ihrem Dekolleté zurecht, sprühte sich ein wenig Blumenduft auf den Busen, setzte sich ihren Strohhut auf und machte sich zusammen mit ein paar anderen auf den Weg in die Stadt.
    In einer Weinstube mit Tanzboden sah sie Quirin. Er fiel ihr auf, weil er der einzige Mann im Lokal war, der nicht tanzte. Er war schwarz gekleidet, rauchte Pfeife, trank Wein und beobachtete alle, die jungen Männer, die mit an seinem Tisch saßen, die anderen Leute im Lokal, Maria.
    Sie hatte das Gefühl, dass er sie mehr als die anderen ansah. Ob sie tanzte oder nicht, sie spürte seine

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