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Zitronen im Mondschein

Zitronen im Mondschein

Titel: Zitronen im Mondschein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mayer Gina
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Augen auf sich, und das machte sie neugierig, so dass auch sie zu ihm hinüberschaute. Er wich ihrem Blick nicht aus, aber er kam auch nicht zu ihr.
    Er war älter als die anderen. Maria schätzte ihn auf über dreißig, doch vielleicht täuschte sie sich auch. Er passte nicht in dieses Lokal, zu der grünen Girlande aus frischen Blättern, die sich in fröhlichen Bögen über seinen Kopf schwang. Er passte nicht zu den Ländlern, Polkas und Walzern, die die Kapelle aufspielte. Er passte nicht zu den bunt gekleideten Frauen und den lauten Männern – er gehörte einfach nicht hierher.
    Ob er Angst vor Frauen hat? überlegte Maria, aber das war es nicht, eher Gleichgültigkeit. Er wartet ab, dachte sie. Er glaubt, er habe alle Zeit der Welt, dabei bin ich in weniger als einer Woche über alle Berge, er sollte sich also beeilen, wenn er mich kennenlernen will.
    Irgendwann forderte sie einer der jungen Männer, der mit ihm am Tisch saß, zum Tanzen auf. »Wer ist der schwarze Kerl bei euch?«, fragte sie ihn, nachdem er ihr zum vierten Mal auf die Zehen getreten war.
    »Sommer? Interessiert er dich? Vergiss ihn, er ist Priester.«
    »Er ist … was? Ein Pfarrer?« Das erklärte natürlich alles.
    »Ja, jedenfalls bald. Er studiert Theologie am Wilhelmsstift. Deshalb tanzt er ja auch nicht. Und führe mich nicht in Versuchung.« Der junge Mann lachte albern und trat ihr dabei wieder auf die Füße, ohne es zu merken.
    »Und du, ich meine, der Rest von euch, seid ihr alle von dieser Priesterschule?«
    »Nein, wir sind ganz normale Studenten. Ich studiere Jura …« Der Junge erzählte ihr von seinem Studium und dem Studentenleben in Tübingen im Allgemeinen und seinen Lebensplänen im Besonderen, aber seine Sätze vermischten sich mit dem Gefiedel des Geigers und dem Gedudel des Akkordeonspielers zu einem gleichförmigen Klangteppich, zu dessen Takt sie sich bewegte, ohne ihn recht zur Kenntnis zu nehmen. Nach dem Tanz brachte er sie an ihren Tisch zurück, dabei wäre sie viel lieber mit an seinen gegangen.
    Sie tanzte mit fast allen Männern, die mit dem Mann mit der Pfeife am Tisch saßen, aber ihm selbst kam sie nicht näher. Irgendwann gab sie es auf. Besser so, dachte sie, wer weiß, wohin das auch geführt hätte, ein angehender Priester.
    Als die erste Gruppe zurück zum Zirkus ging, schloss sie sich ihnen an. »Kein Glück heute, Maria?«, spottete Enrique.
    »Ach, halt den Mund«, meinte sie, aber sie lachte, weil sie wusste, dass er es nicht böse meinte.
    Auf der Straße war es dunkel, kühl und windig. Sie kämpfte mit ihrem Mantel, dessen Ärmel sich verheddert hatte, bis Enrique ihr hineinhalf. Dabei war das überhaupt nicht seine Art, dachte Maria erstaunt, doch dann sah sie, dass Enrique vor ihr ging und dass der Mann mit der Pfeife neben ihr stand.
    »Danke.« Mit einem Mal fühlte sie sich sehr unsicher. Aus den Fenstern des Tanzlokals tropfte gelbes Licht auf die Straße.
    Er nickte und schwieg.
    »Vielen Dank, also«, meinte sie noch einmal, und als er immer noch nichts sagte, setzte sie sich in Bewegung.
    »Trinken Sie noch ein Glas Wein mit mir?« Seine Stimme klang genau so, wie sie es erwartet hatte, sehr tief, ein bisschen rau.
    »Ich … wie komme ich später nach Hause?«, meinte sie. Enrique und die anderen waren stehen geblieben und warteten auf sie. Sie konnte sie aber kaum sehen, weil die Sommerdunkelheit zwischen ihnen wie ein dichter Schleier lag.
    »Ich bringe Sie zurück«, sagte er. »Keine Angst.«
    »Ich habe keine Angst«, sagte sie, aber zu ihrem Ärger sagte ihre Stimme etwas anderes. »Ich bleibe noch hier!«, rief sie den anderen zu.
    »Bist du sicher?«, rief Enrique.
    »Ganz sicher.« Sie hörte die anderen leise lachen, dann waren sie weg.
    »Kommen Sie«, sagte Quirin, dessen Vornamen sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht kannte.
    Er führte sie in ein winziges Weinlokal, drei kleine runde Tische, an einem saß ein alter Mann und führte Selbstgespräche.
    »Kommen Sie oft hierher?«, fragte Maria.
    »Hin und wieder. Ich gehe nicht viel aus.«
    »Prosit, die Herrschaften!«, sagte der Alte am Nebentisch, ohne sich jedoch zu ihnen umzudrehen.
    »Sie sind ziemlich alt für einen Studenten«, meinte sie.
    »Ich bin jünger, als ich aussehe. Aber auch älter, als ich in Wirklichkeit bin.«
    »Warum haben Sie Ihr Studium noch nicht abgeschlossen?«, fragte Maria.
    »Ich bin langsam. Ich habe auch viel später begonnen als die anderen.« Sie erfuhr nie, was er vorher gemacht hatte,

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