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Zitronen im Mondschein

Zitronen im Mondschein

Titel: Zitronen im Mondschein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mayer Gina
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ob er in einem anderen Beruf gearbeitet und warum er sich entschlossen hatte, Priester zu werden. Es gab so viele Dinge, die sie nie von ihm erfuhr.
    An jenem ersten Abend redeten sie hauptsächlich über Maria.
    »Wie ist das Leben im Zirkus?«, wollte er wissen. Sie erzählte ihm von den Aufführungen, wie sie früher Meister Nikolas assistiert hatte und dann Wahrsagerin geworden war. »Eineechte Hellseherin.« Er zog die Augenbrauen hoch. »Würden Sie mir die Zukunft prophezeien?«
    »Nein«, sagte sie sofort, weil sie an jenen ersten Abend mit Ludwig dachte.
    »Vielleicht ist es besser so. Ich will es gar nicht wissen.«
    »Sie werden jedenfalls niemals heiraten, so viel kann ich Ihnen verraten«, sagte sie scherzhaft.
    »Nein«, meinte er und nickte ernst. Sie spürte, dass sie rot wurde. Vermutlich hielt er sie nun für frivol. Sei’s drum, dachte sie und trank einen großen Schluck Wein. Immerhin hat er mich ausgeführt. Während sie den Wein jetzt hinunterschluckte, spürte sie, wie ihr der Alkohol wie Nebel in den Kopf stieg.
    »Prosit«, sagte der alte Mann am Nachbartisch wieder. »Sehr zum Wohlsein.« Sie fragte sich, ob er sie damit meinte oder ob er immer noch mit sich selbst sprach. Ich sollte aufhören zu trinken, dachte sie, aber dann nahm sie noch einen Schluck.
    »Sind Sie verheiratet?«, fragte Quirin.
    »Meinen Sie, dass ich dann so mir nichts, dir nichts mit Ihnen ausgehen könnte? Aber ich war verheiratet.« Eine Lüge. »Mein Mann ist gestorben.« Noch eine Lüge. Jedenfalls hoffte sie, dass es eine Lüge war.
    »Das tut mir leid.«
    »Es ist lange her. Ich habe eine Tochter.«
    Er nickte wieder auf seine langsame, nachdenkliche Art, während er seine Pfeife zu stopfen begann.
    Warum erzähle ich ihm das alles? dachte Maria. Um ihn durch meine Ehrbarkeit zu beeindrucken? Wenn er ein braves katholisches Mädchen gesucht hätte, hätte er mich bestimmt nicht angesprochen. Warum hat er mich überhaupt angesprochen? Der Nebel in ihrem Kopf wurde dichter. Sie schob ihr fast leeres Glas ein Stück von sich, aber Quirin verstand das als Aufforderung und schenkte es noch einmal voll.
    »Und Sie?«, fragte sie, um irgendetwas zu sagen.
    Er lächelte. »Ich habe keine Kinder.«
    »Das dachte ich mir.« Noch ein Schluck Wein, damit sie ihn nicht ansehen musste.
    »Warum sind Sie mit mir ausgegangen?«, erkundigte sie sich.
    Er zündete die Pfeife an, sog daran, bis der Pfeifenkopf feurig aufleuchtete. »Ich habe Sie beobachtet, das haben Sie doch bemerkt.«
    »Aber warum?«
    »Sie sind sehr schön.«
    Maria starrte auf seinen Pfeifenkopf, der sich in einer sanften Wellenbewegung auf und ab bewegte, aber vielleicht bildete sie sich das ja auch nur ein. Plötzlich hatte sie das unsinnige Gefühl, dass das Glühen auf sie übersprang, zuerst als brennender Punkt, dann als Flackern und dann als lodernde helle Wut. Aber warum wurde sie so wütend? Es war doch von Anfang an klar gewesen, was er von ihr wollte, warum er ihr nachgegangen war, wie hatte sie daran zweifeln können? Sie hätte nicht darauf eingehen sollen. Sie hätte nicht so viel trinken sollen. Verdammt, dachte sie. Wie kann er es wagen!
    »Ich weiß nicht, was Sie sich vorgestellt haben, aber glauben Sie mir, Sie liegen ganz und gar falsch«, stieß sie hervor. Obwohl sie sich bemühte, die Worte scharf und präzise auszusprechen, klang das Ganze seltsam verschwommen. »Ich bin zwar vom Zirkus, aber so eine bin ich nicht.«
    »Was für eine …? Ich … o nein, ich wollte Sie nicht beleidigen!«
    Sie war jedoch schon aufgestanden. Jetzt nur nicht schwanken, dachte sie. Einen Fuß vor den anderen, in einer geraden Linie zur Tür, nicht zu schnell.
    Der einsame Alte drehte sich zu ihr um, als sie an ihm vorbeiging. »Holla, Fräulein!«, rief er laut. Ob er ihr ansah, wie betrunken sie war? Aber er war ja selbst nicht mehr ganz bei Sinnen. Sie zerrte ihren Mantel vom Garderobenhaken und hörte das hässliche Geräusch von reißendem Stoff. Egal, nur weg hier.
    Draußen auf der Straße drängten sich die Häuser gegeneinander und lehnten sich über die schmale Gasse, schwarze Fensteraugen in weißen Rahmen, hier und dort ein funkelndes gelbes. Es schien, als wären die Gebäude noch ein Stück zusammengerückt, während sie in der Weinstube gesessen hatten, undwenn sie sich nicht beeilte, dann würden sie sich ganz zusammenschließen und sie zwischen sich erdrücken. Die kühle Nachtluft riss den Nebel in ihrem Kopf auseinander, auch wenn sie ihn

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