Zitronen im Mondschein
Bescheid, und es war nicht das erste Mal, dass er mit einer Frau zusammen war, stellte Maria fest, als sie später miteinander schliefen. Er berührte sie auf eine Weise, von der sie nicht genug bekommen konnte, auch deshalb traf sie sich jeden Tag mit ihm. Aber so etwas lernte man nicht aus Büchern, und es war auch keine Frage der Intuition, so etwas erforderte praktische Übung. Sie fragte sich, mit wem er seine Erfahrungen gesammelt hatte, aber sie fragte ihn nicht, weil sie wusste, dass sie ohnehin keine Antwort bekommen würde.
Sie erfuhren so viel übereinander in diesen Wochen. Aber noch viel mehr hielten sie voreinander verborgen.
»So lange der Herr Direktor im Spital ist, wohne ich bei Mirko«, verkündete Mirabella nachmittags am Feuer.
»Und warum wohnst du da?«, fragte Domenica lauernd.
»Weil ich so schnarche in letzter Zeit. Ich will nicht, dass Mirabella davon aufwacht«, erwiderte Maria.
»Weil es so am besten ist«, antwortete Mirko gleichzeitig.
»Mirko hat auch ein größeres Bett für mich, und ich bin doch so gewachsen«, fügte Mirabella hinzu.
»Aha«, sagte Domenica spitz.
Mirko fragte niemals nach, mit wem sich Maria traf, wenn sie schon kurz nach der Nachmittagsvorstellung den Zirkus verließ. Die anderen aber wurden immer neugieriger, besonders Domenica und die alte Marthe. Quirin holte Maria jetzt nicht mehr im Zirkus ab, sie trafen sich in der Stadt, damit es weniger Gerede gab, doch vermutlich heizte das die Fantasie der Zirkusleute nur noch mehr an. »Meinethalben müssen wir uns nicht verstecken«, meinte Quirin, als sie ihn darauf ansprach.
Es wunderte sie, dass er sich so bedenkenlos mit ihr zeigte. Sie gingen Arm in Arm über den Marktplatz, er schien überhaupt keine Angst davor zu haben, dass man ihn mit ihr sah. »Es ist doch für einen Priesteranwärter verboten«, meinte sie.
»Normalerweise ja«, sagte er. »Aber mich haben sie wohl schon aufgegeben.« Er zuckte mit den Schultern und lachte.
Er hat gar nicht ernsthaft vor, Priester zu werden, dachte Maria. Er weiß es, und die anderen wissen es auch, deshalb gelten für ihn die strengen Regeln nicht. Dieser Gedanke veränderte alles. Denn wenn Quirin kein Pfarrer wurde, war er frei, und wenn er frei war, gab es eine Chance – für sie und ihn und für Mirabella.
Sie mussten sich aber beeilen, denn bald würde der Krieg ausbrechen. Ende des Sommers, hatte die Jungfrau Maria gesagt, und jetzt war es schon Juli.
Sie beschloss, dass Quirin und Mirabella sich kennenlernen sollten. »Was machen wir in der Stadt?«, fragte Mirabella aufgeregt, als Maria ihr nachmittags die dunklen Zöpfe zu Schnecken festdrehte und mit rosa Schleifen verzierte.
»Wir gehen Kuchen essen«, sagte Maria.
»Sie kann doch hier bleiben«, sagte Mirko, der ins Zelt gekommen war, um Mirabella abzuholen. »Wir müssen noch trainieren, Mirabella.«
»Heute ist ein Feiertag«, meinte Mirabella. »Heute gehen wir Kuchen essen. Ich und Mama.«
»Und Quirin«, sagte Maria. Es war das erste Mal, dass sie den Namen Mirko gegenüber erwähnte.
»Wer ist Quirin?«, wollte Mirabella wissen.
»Ein Freund«, sagte Maria. »Er ist nett.«
»Sonst wäre er ja auch kein Freund«, meinte Mirabella altklug.
»Sie kann aber doch auch hier bei mir bleiben. Es ist doch viel besser so für alle«, sagte Mirko.
»Nein, sie kommt mit.«
»Du musst heute einmal alleine trainieren, Mirko«, sagte Mirabella bedauernd. »Morgen helfe ich dir dann wieder.« Sie versuchte sich zu ihm umzudrehen, doch es ging nicht, weil Marias Bürste an ihren Haaren zog.
»Aber die Seiltänzer üben auch jeden Tag, Mirabella«, sagte Mirko.
Warum hält er nicht endlich den Mund? dachte Maria. Wenn er so weitermacht, will Mirabella am Ende wirklich hier bleiben.
»Und hinterher gehen wir an den Fluss«, fuhr Mirko fort.
»Nun lass sie doch in Ruhe!« Die Worte flogen durch den Raum wie Pitos Messer. Scharf und böse. Es war unverschämt, nach allem, was Mirko für sie getan hatte. Erschrocken ließ Maria die Bürste sinken und drehte sich zu ihm um. Aber das Zelt war leer. Mirko war verschwunden.
III.
Sie aßen Kuchen und fuhren Stocherkahn, und Quirin zeigte Mirabella, wie man Papierschiffe aus Zeitungspapier faltet, die sie dann auf dem Neckar schwimmen ließen.
»Ich wusste eigentlich schon, wie das geht«, sagte sie nachdenklich, während sie zusahen, wie die Boote die Nachrichten des Tages den Fluss hinuntertrugen.
»Ach wirklich?«, sagte Quirin. »Eben machte
Weitere Kostenlose Bücher