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Zitronen im Mondschein

Zitronen im Mondschein

Titel: Zitronen im Mondschein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mayer Gina
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oder über ihre Liebe. So oder so, es machte keinen Unterschied.
    »Ja«, sagte sie einfach. Da küsste er sie ein letztes Mal, und dann ging er.
    Auf dem Weg zu ihrem Zelt sah sie, dass bei Mirko noch Licht brannte. Sie schob die Plane vor dem Eingang auf. Er saß am Tisch und schrieb und schrak zusammen, als sie plötzlich vor ihm stand. Sein Federhalter machte einen hässlichen Strich quer über die halbe Seite, aber das war ihr egal. »Er ist weg«, sagte sie. »Es ist aus.«
    Mirko wirkte sehr ratlos, als wüsste er nicht genau, von wem sie sprach.
    »Bist du nun zufrieden?«, herrschte sie ihn an.
    Er öffnete den Mund, aber dann machte er ihn wieder zu und schüttelte schweigend den Kopf.
    »Es ist spät«, meinte er schließlich. »Geh und ruh dich aus, Maria.«
     
    Der Krieg näherte sich in großen Schritten. Am 28. Juli 1914 begannen die Kämpfe zwischen Österreich-Ungarn und Serbien. Am 30. Juli machte Russland mobil. Als sein Verbündeter trat auch Frankreich in den Krieg ein. Am 1. und 3. August erklärte Deutschland als Bündnispartner Österreich-Ungarns Russland und Frankreich den Krieg. Die deutsche Forderung nach einem freien Truppendurchzug durch Belgien rief England auf den Plan, das am 4. August in den Krieg eintrat.
    Die Fronten waren weit weg – in Flandern, in Lothringen, in Ostpreußen und Galizien. Dennoch ergriff der Krieg vom ersten Tag an Besitz von ihnen. Die Straßen der Städte, durch die der Zirkus zog, waren voller Soldaten. In offenen Lastwagen fuhren sie durch die Stadt, die Gewehrmündungen stolz nach oben gerichtet, am Straßenrand Menschen mit Fahnen,Wimpeln, Tüchern, Mädchen, die Blumen warfen, Männer, die jubelten. Aus den Fenstern flatterten Fahnen, schwarz-weißrot. Der Bäcker verkaufte Gebäck in Form von Gewehren und Kanonen. Es war wie ein grandioses, mitreißendes Volksfest. Krieg.
    Die Kirchen füllten sich. Mütter, Ehefrauen, Großeltern und Verlobte, Kinder und Enkel versammelten sich, um für einen raschen Sieg zu beten. O Herr, ergreife Schild und Waffen, und mache dich auf, mir zu helfen! flehten sie, während auf der anderen Seite die Franzosen, die Engländer und die Russen in ihren Sprachen mit den gleichen Worten zum selben Gott beteten.
    Die Kirchen füllten sich, und der Zirkus blieb leer. Mit einem Mal galt es als unpatriotisch und geschmacklos, dass man sich belustigte, während die Männer in den Kampf zogen.
    Man ging nicht mehr in den Zirkus. Man tanzte nicht mehr, dafür wurde umso mehr gesungen: »Heil dir im Siegerkranz« und »Es braust ein Ruf wie Donnerhall«.
    Auch die jungen Männer im Zirkus konnten sich dem nicht entziehen. »Ich würde ja mitkämpfen«, sagte Sascha. »Wenn mir einer sagen könnte, für wen ich in den Krieg ziehen soll.« Seine Mutter war Ungarin, sein Vater war Russe, aber in keines der beiden Länder hatte er je einen Fuß gesetzt.
    Vanja dagegen brach in der ersten Kriegswoche nach Serbien auf. »Ich muss meinem Volk helfen«, tönte er großartig, obwohl auch er im Zirkus aufgewachsen war und sein Vaterland nur aus Erzählungen kannte.
    Für die älteren Männer, die den Krieg kannten, war es nicht so schwer. »Es wird ein großes Totschlagen geben, dann kommt der Rest wieder nach Hause, mit ein paar Gliedmaßen weniger«, sagte Josef, der schon 1870 in Frankreich mitgekämpft hatte, da war er sechzehn gewesen. Die Jüngeren aber hatten allesamt das Gefühl, dass sie etwas verpassten, weil sie sich nicht meldeten, weil sie nicht einmal Partei ergreifen konnten.
    Dann kam der Hunger. Im Zirkus ging es noch schneller als im Rest des Landes, weil die Besucher ausblieben und die Ersparnisseaufgezehrt waren, bevor der Winter begonnen hatte. Im Oktober gab es Steckrüben und Kartoffeln, im November waren es nur noch Steckrüben, und das Brot reichte niemals aus, dass alle richtig satt wurden. »Lang kann es nicht mehr gehen«, nuschelte Esmeralda. »Vor dem Winter ist Schluss.«
    »In der Zeitung steht, dass die Soldaten bald wieder heimkommen. Es gibt keine Winterstiefel für die Truppen und keine Mäntel«, meinte Silvan.
    Esmeralda hatte recht, vor dem Winter war Schluss, jedenfalls mit ihr. Anfang Dezember bekam sie eine Lungenentzündung, eine Woche später war sie tot.
    Aber die Soldaten kämpften auch ohne Winterstiefel und Mäntel weiter. Der Krieg hat gerade einmal richtig angefangen, dachte Maria. Einen langen, schweren Krieg hatte die Jungfrau Maria vorhergesagt. Und auch wenn Zeit nichts war für eine

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