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Zitronen im Mondschein

Zitronen im Mondschein

Titel: Zitronen im Mondschein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mayer Gina
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letzten Groschen zwei Eisenbahnbillets nach Schramberg kaufte. »Einfach oder Rückfahrt?«, fragte der Mann am Schalter.
    »Einmal einfach, einmal mit Rückfahrt«, sagte Maria, aber sehr leise und beiläufig, damit Mirabella es nicht hörte.

Achtes Kapitel
    I.
    Es brauchte nicht viel, um einen Menschen in einen winselnden, heulenden Haufen Elend zu verwandeln. In eine Masse aus Fleisch und Blut und Kot und Eiter. Ein Geschütz, eine Kugel, ein gezielter Hieb mit dem Bajonett. Die Ruhr.
    Wenn einer Glück hatte, bekam er Husten. Frädrich hatte zuerst Husten bekommen im letzten Winter, dann Fieber, und nach vier Tagen hatte man ihn ins Feldlazarett gebracht, wo er in derselben Nacht noch gestorben war.
    Das war ein sauberer Tod gewesen. Er hatte noch alle Gliedmaßen am Körper gehabt, als sie ihn in den Sarg gelegt hatten, beide Augen, alle Finger, alle Zehen. Man konnte ihn wirklich beneiden, er hatte es nun hinter sich, während sie immer noch mittendrin steckten.
    Auch Nocke hatte es hinter sich, aber bei ihm war es nicht so sauber abgegangen. Sie hatten ihn im Januar auf dem Abort gefunden, unter seinem nackten Hintern waren die flüssigen Exkremente zu bizarren braunen Tropfsteinen gefroren. Er hatte sich das Leben im wahrsten Sinne des Wortes aus dem Leib geschissen.
    Auch er hatte noch Glück gehabt – im Gegensatz zu den anderen, die in den Schützengräben getroffen wurden oder auf offenem Feld, die heulend und fluchend im Feldlazarett verendeten oder irgendwo im Dreck, weil man sie nicht rechtzeitig fand. Die sich stundenlang, tagelang quälten – wie Severin. Sie hatten seine Schreie gehört, den ganzen Nachmittag und die Nacht und am nächsten Morgen, aber sie konnten ihn nicht holen, er war zu nah an den feindlichen Reihen und zu weit weg für eine Kugel, die seinem Elend ein Ende bereitet hätte. Obwohl es dann doch wieder keiner gewagt hätte, wenn esdarauf angekommen wäre. Mit Pferden hatte man Mitleid, wenn ihnen die Gedärme aus dem Leib hingen, wenn sie sich die Beine gebrochen hatten, gab man ihnen einen Schuss zwischen die Augen. Aus und vorbei. Die Soldaten ließ man leiden, bis sie von selbst krepierten. Im Namen der Menschlichkeit.
    Gegen Mittag war Severin endlich still gewesen.
    Ludwig wollte nicht mehr an ihn denken, Severin war tot, begraben, verwest, so wie Frädrich und Nocke auch. Ludwig wollte ihn vergessen, er hatte so viele vergessen. Aber es gelang ihm nicht. In den wenigen Stunden, wenn einmal nicht geschossen wurde, hörte er ihn immer noch schreien.
Gottverfluchte , verdammte Welt, ihr Scheißkerle, warum helft ihr mir nicht?
schrie er. Obwohl man kein einziges Wort verstanden hatte. Es war nur eine blutige Masse aus gurgelnden Schreien gewesen, die zu ihnen herübergedrungen war.
    Achte Kompanie, zweites Bataillon, Infanterie-Regiment 477. Das war seine Einheit. Seit Januar 1915 lagen sie in Flandern. »Da hinten liegt Ypern«, hatte ihnen der Kompanieführer erklärt, nachdem sie Stellung bezogen hatten. Es blieb ein Name, ein Ort, den sie niemals zu Gesicht bekommen würden, obwohl sie keine fünf Kilometer davon entfernt lagerten.
    Flandern hatte sich Ludwig früher immer so ganz anders vorgestellt. Flandern, das war das Land von Vermeer, Rembrandt, van Eyck, Rubens. Ein flaches, weites Land am Meer, mit Dünen, Wind, verschlungenen Bächen und schnurgeraden Kanälen, mit verwinkelten Gassen, reetgedeckten Häusern. Einem endlosen Himmel. Hellblau und grün hätte er es gemalt, wenn er es damals gemalt hätte.
    Falsch gedacht. Flandern war ein großes Feld, durchzogen von Schützengräben, einer hinter dem anderen, und dazwischen der nackte, schmutzige Boden. Granaten hinterließen große unregelmäßige Krater, Maschinengewehre rissen Löcher, lange Ketten aus verkrusteten Einschüssen. Sie wohnten unter der Erde, in tiefen Gräben; Ludwig, Hahn und Sommer teilten sich einen Unterstand, ein paar Meter weiter hausten Egner, Mücke und Flauber.
    Flandern war dunkelbraun wie die nasse, kalte Erde und rot wie das Innere ihrer Körper.
    Dahinten lag Ypern, und hinter Ypern lag das Meer. Das hatte man ihnen jedenfalls so gesagt.
     
    Am Anfang teilte sich Ludwig einen Unterstand mit Hahn und Kanzig. Aber Kanzig passte nicht zu ihnen, er war so jung, ein Abiturient, der im Januar gerade einmal achtzehn geworden war und sich in einem Anflug von Leichtsinn und Größenwahn gemeldet hatte. Kanzig wollte zu Egner und Mücke, die beide in seinem Alter waren, und Sommer, der damals

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