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Zitronen im Mondschein

Zitronen im Mondschein

Titel: Zitronen im Mondschein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mayer Gina
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drüben hauste, wollte seinerseits zu Ludwig und Hahn, weil die jungen Burschen ihm auf die Nerven gingen. Sie hatten also getauscht; es dauerte nur zwei Minuten, bis die beiden ihre Bündel von hier nach dort und von dort nach hier gebracht hatten. So war es am besten, fanden sie, aber nur so lange, bis Rettel davon erfahren hatte. Major Rettel war der Kompanieführer.
    Wahrscheinlich hatte es ihm irgendeiner verpetzt, sonst wäre es ihm gar nicht aufgefallen. Ob einer hier oder dort schlief, machte doch keinen Unterschied. Am Nachmittag kam Rettel in ihren Graben gestampft, in den Unterstand, wo Ludwig, Hahn und Sommer gerade Skat spielten. Seine Adern an den Schläfen waren dick und rot vor Wut, sein graubrauner Schnurrbart zitterte, als wäre ihm kalt, dabei war es ein milder Tag. »Was geht hier vor sich?«, brüllte er, während die Männer ihre Karten fallen ließen und von ihren Pritschen aufsprangen und salutierten. »Sind wir hier im Zeltlager?«
    Keiner antwortete, weil es eine rhetorische Frage war, aber das brachte Rettel nur noch mehr in Rage. »Sind wir hier im Zeltlager?«, schrie er noch einmal. »Antworten Sie, Wunder! Meinen Sie, dass das hier ein gottverdammtes Zeltlager ist?«
    Ludwig salutierte erneut. »Nein, Herr Major«, brüllte er zurück. Er hatte inzwischen gelernt, dass man auf eine gebrüllte Frage immer in der gleichen Lautstärke zurückbrüllen musste. Wenn man ruhig und leise antwortete, wurde das als Provokation verstanden.
    »Holen Sie die Männer von drüben hierher!«, herrschte ihn Rettel an. »Los wird’s bald!«, schrie er, obwohl sich Ludwig längst in Bewegung gesetzt hatte.
    Der junge Kanzig trat vor den Major, der ihm mitteilte, dass er unverzüglich seine Sachen packen und zurückbringen sollte. Das hier sei eine Armee und kein Kindergarten, in dem jeder sich nach seinen Privatvorstellungen amüsierte. »Haben Sie das nun verstanden?«, herrschte er zuerst Kanzig und nach ihm Sommer an.
    »Weggetreten«, brüllte er schließlich. Sommer grüßte und stellte sich zu den anderen, aber Kanzig salutierte nicht. Stattdessen begann er zu zittern. Es war ein heftiges Beben, das seinen ganzen Körper ergriff, wie ein Schüttelfrost. Sein Kopf wackelte auf seinem dünnen Hals hin und her, er schlang die Arme fest um den Leib, aber das konnte das Zittern nicht aufhalten. »Einen Augenblick noch, Herr Major«, sagte er mit einer leisen Stimme, die ebenfalls bebte. Rettel hob die Augenbrauen, im selben Moment senkte Kanzig den Kopf und rannte wie ein Stier auf den Kompanieführer zu. Ehe die anderen reagieren konnten, ehe überhaupt einer begriff, was geschah, hatte er dem Major den Schädel in die Magengrube gerammt. Rettel fiel nach hinten, und sein rotes Gesicht wurde von einem Moment zum anderen sehr bleich. Auch er klammerte jetzt beide Arme um seinen Leib wie vorhin Kanzig und gab zischende Geräusche von sich. Ludwig und Sommer hielten Kanzig fest, einer links, der andere rechts, es erforderte ihre gesamte Kraft. Der Junge hatte aufgehört zu zittern, stattdessen schrie und tobte und heulte er wie ein Besessener.
    »So schlimm hatte er es hier doch auch wieder nicht«, meinte Hahn hinterher, als der Major Kanzig hatte abführen lassen und Sommer wieder nach drüben gezogen war. »Es ist der verfluchte Krieg, der uns alle um den Verstand bringt«, meinte er dann, als Ludwig nicht antwortete.
    Kanzig bekam zwei Tage im Bunker. »Um ihn wieder zur Vernunft zu bringen«, sagte Rettel. Aber Kanzig kam nicht wieder zur Vernunft. Während er eingesperrt war, bliesen dieFranzosen zum ersten Mal Gas ins deutsche Lager. Es kam nicht überraschend, es war zu erwarten gewesen, nachdem die Deutschen ihrerseits vor zwei Wochen Gas eingesetzt hatten. Damals hatten sie die Franzosen vollkommen überrumpelt, die Verluste in den französischen Stellungen waren enorm gewesen. Seitdem hatten sie den Gegenangriff der Franzosen erwartet. An alle Männer waren längliche Mullbeutel verteilt worden, die mit einer Lösung aus kohlensaurem Natron getränkt waren und die sich die Soldaten beim Angriff über Mund und Nase banden. Dadurch waren sie einigermaßen geschützt, auch wenn einige Männer so unvorsichtig waren und die Schutzbeutel viel zu früh wieder abnahmen.
    Kanzig im Bunker hatte jedoch keinen Mullbeutel bekommen. Man hatte einfach vergessen, ihm einen zu geben, und als man sich daran erinnerte, war er schon erstickt.
    Ende Mai kam Nachschub in die Kompanie. Munition, Uniformen,

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