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Zitronen im Mondschein

Zitronen im Mondschein

Titel: Zitronen im Mondschein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mayer Gina
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Feldstecher um den Hals, obwohl sie in der Dunkelheit ohnehin nichts nützten. In unregelmäßigen Abständen öffneten sich Leuchtschirme am Himmel, grünweiß und gleißend. Einen Augenblick war das Feld taghell erleuchtet, dann fielen die Schirme in sich zusammen und hinterließen eine Dunkelheit, die noch schwärzer war als vorher. In einiger Entfernung flogen Granaten, ein Surren, dann der Knall der Explosion, daran hatte man sich fast gewöhnt. Es lag aber noch ein anderes Geräusch in der Dunkelheit, ein dumpfes Grollen, ein rollendes Dröhnen, das sie nicht nur hören, sondern auch in ihren Körpern spüren konnten.
    »Transporte für die Franzosen«, sagte Sommer. »Sie bringen neue Truppen, Munition, Geschütze.«
    Essen, dachte Ludwig, sie bringen Essen. Sein Magen knurrte laut, das Geräusch verschmolz mit dem Rollen der Räder. Die Versorgung war schlechter denn je. Eine Brotkante am Morgen, auf der man stundenlang herumkaute, hin und wieder ein Stück Käse. Halb verdorbenes Fleisch.
    »Wo wärst du jetzt, wenn du es dir aussuchen könntest?«, fragte er Sommer, um sich abzulenken.
    »Unter Palmen«, antwortete Sommer sofort, so als habe er die ganze Zeit über dieselbe Frage nachgedacht. Wie auf ein Kommando öffnete sich über ihnen ein Leuchtschirm, grünlich-weiß, palmenförmig. Dann war es wieder dunkel. »Und du?«, fragte Sommer zurück.
    Im Romanischen Café. Am Badestrand am Wannsee. Im Atelier. In der Konditorei Meesner. Alle diese Orte erschienen auf einmal so unwirklich, so nichtig, wenn er sie sich in die Erinnerung rief. Wo wollte er hin, wo wollte er wirklich sein? Bei Maria, dachte er plötzlich. Maria, die ihn vielleicht schon vergessen hatte, die wahrscheinlich längst einen anderen geheiratet hatte. Nach all den Jahren wollte er immer noch zu ihr.
    »Ich weiß es nicht«, sagte er laut. Er wollte ihren Namen nicht aussprechen. Nicht hier, nicht an diesem furchtbaren Ort.
     
    Unter Palmen.
Sommers Antwort brachte Ludwig auf Pechstein. Er dachte oft an ihn. Im Mai hatte er mit der Feldpost einen Brief von ihm bekommen, den ihm seine Hauswirtin aus Berlin nachgeschickt hatte. Pechstein hatte ihn am 26. August 1914 in Palau geschrieben, fast ein drei viertel Jahr hatte das Schreiben gebraucht, um die halbe Welt zu durchqueren. Vom Paradies ins Inferno.
    Dieses Licht. Diese Farben,
schrieb Pechstein.
Diese Wärme, von morgens früh bis abends spät scheint die Sonne. Wir sind vor gut drei Wochen auf der Palauinsel Melekéiok angekommen, außer uns leben nur noch zwei Weiße hier, der Stationsleiter und sein Heilgehilfe, beide mit Palaufrauen verheiratet. Es ist ein herrliches Leben, sorgenfrei und reich, wir ernähren uns von den Früchten der Insel: Brotfrucht , Fisch in Kokosmilch gekocht, das
Fleisch der großen Taschenkrebse und wilder Schweine. Stell Dir vor, dass wir die Papayas, Mangos , Ananas und Bananen einfach so von den Bäumen pflücken und verzehren.
    Ich unternehme Streifzüge über die Insel und den gesamten Archipel. Überall ein Reichtum ohnegleichen: wuchernde Gräser, Kräuter und Moose, fabelhafte Insekten und Orchideen. Dazwischen die braunen Insulaner. Die Männer schlanke, bronzene Gestalten in göttlicher Nacktheit, die Frauen nur mit kleinen Schürzen aus Kokosfasern bekleidet, ihre Schenkel und die Unterarme sind mit archaischen Zeichen und Mustern tatauiert. Es sind gutartige Naturen voll kindlicher Neugierde und Fröhlichkeit. Mein Erscheinen bedeutet ihnen eine große Abwechslung und ein freudiges Ereignis, das den immer gleichen Ablauf ihres Lebens unterbricht. Mein Skizzenbuch ist übervoll der Eindrücke.
    So ging es noch eine ganze Weile weiter. Das Licht, das Meer, der Himmel, die schönen Mädchen. Den Krieg erwähnte er nicht, vermutlich hatte er auf seiner Insel noch nicht einmal etwas von seinem Ausbruch mitbekommen.
    Auch von Charlotte berichtete er kein Wort. Wir sind angekommen, schrieb er, aber die Streifzüge über den Inselarchipel, die Wanderungen durch den Urwald unternahm er offensichtlich ohne sie. Was trieb sie den ganzen Tag, wenn er die Gegend durchstreifte oder zeichnete? Ludwig versuchte sich ihre schmale, blasse Gestalt vor dem leuchtenden Grün des Urwalds vorzustellen, aber es gelang ihm nicht.
    Pechstein schrieb von kleinen rosa und schwarzen Perlen, die ihm ein Eingeborener angeboten hatte, die er aber abgelehnt hatte.
    Mein Sinn ist nicht darauf gerichtet, solche nur für einen Europäer wertvollen Dinge zu besitzen. Ich

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