Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zitronen im Mondschein

Zitronen im Mondschein

Titel: Zitronen im Mondschein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mayer Gina
Vom Netzwerk:
Konserven, junge Männer. Von allem zu wenig, vor allem das Essen reichte niemals aus. Flauber war einer der Neuen, und Rettel schickte ihn in den Unterstand von Egner, Mücke und Sommer. »Sommer ab nach drüben«, brüllte er, als dieser ihn fragend ansah.
    Sommer packte seine Sachen und bezog Kanzigs Pritsche. Es war genauso, wie sie es von Anfang an haben wollten. Nur dass Kanzig jetzt tot war.
     
    Ludwig fragte sich oft, was ihn und Sommer miteinander verband. Das Alter vermutlich, sie gingen beide auf die Dreißig zu, jedenfalls schätzte er Sommer so ein. Hahn war jedoch ebenfalls Anfang dreißig, und mit ihm verband ihn nichts außer einer vagen Sympathie.
    Sommer las, wann immer er die Gelegenheit dazu fand. Für viele Kameraden brachte die Feldpost Fresspakete mit Speck und Kuchen, für Sommer kamen in regelmäßigen Abständen Bücher. Gedichte, Biografien, Philosophisches. Wie die anderen ihre Lebensmittel verschlangen, schien er seine Bücher aufzufressen. In jedem Fall wurde der Bücherstapel neben seinerPritsche nicht höher, er blieb immer gleich. Vielleicht warf er die ausgelesenen Exemplare weg oder gab sie weiter, Ludwig wusste es nicht. Er wusste überhaupt sehr wenig von Sommer.
    Vielleicht war es das, was sie am stärksten miteinander verband – dieser Widerwille, etwas von sich preiszugeben, diese Furcht vor zu viel Vertrautheit. Mit Hahn war das ganz anders. Er konnte stundenlang sein Innerstes nach außen kehren, er erzählte ihnen von seiner Frau und den drei Kindern, das älteste gerade einmal vier, von seiner Angst, dass sie nicht genug zu essen hatten, dass sie krank wurden und starben, und von seinem Hass auf Lübke, den Schornsteinfeger, der oben im Haus wohnte und wegen seines Asthmas nicht eingezogen wurde. Lübke hatte Hahns Frau schon früher schöne Augen gemacht, und jetzt, da Hahn quasi ausgeschaltet war, hatte er freie Bahn. Wenn er aber zurückkäme und sie hätte einen anderen, dann würde er sich umbringen, vor ihren Augen mit einem gezielten Schuss in den Mund, sagte Hahn, und an diesem Punkt fing er meistens an zu weinen. Ludwig und Sommer ließen ihn reden. Am Anfang hatte Ludwig manchmal versucht, ihn zu beruhigen, aber er hörte sie gar nicht, er hörte nur sich selbst, die endlose Litanei seiner Klagen, die ihn auf rätselhafte Weise zu beruhigen schien. Wenn es dunkel wurde und keine Angriffe stattfanden, legte Hahn sich auf seine Pritsche und weinte, bis er einschlief.
    Ludwig und Sommer hielten sich aneinander, auch wenn sie sich niemals berührten.
     
    Im Feld wurden die Männer zu Maschinen. Einer zog die Handgranaten ab, der andere warf sie, dreißig Meter, immer genau dreißig Meter, im Rhythmus des Maschinengewehrfeuers. Der Feind blieb meist unsichtbar, hinter Erdwällen und in Gräben versteckt. Manchmal kam es zum Nahkampf. Dann stürzten sie aus ihren Unterständen hervor, den Franzosen entgegen, die ebenfalls keine Menschen waren, sondern gefühllose, seelenlose Automaten, geschaffen, um zu töten und getötet zu werden. Sie stürzten aufeinander zu, die Gesichter verzerrt, die Waffen hoch erhoben. Das Bajonett benutzte Ludwig kaum. MitHandgranaten konnte man sich die anderen besser vom Leib halten. Wenn dann gar nichts mehr half, nahm er den Spaten. Ein Schlag von unten gegen das Kinn war das sicherste. Wenn man richtig traf, flog dem anderen der Kopf mit einer solchen Wucht nach hinten, dass er tot war oder zumindest bewusstlos.
    Wenn der Spaten gegen die Kinnlade knallte, gab es ein hässliches dumpfes Geräusch. Während des Kampfes empfand er dieses Geräusch als beruhigend. Wupp! wieder einer ausgeschaltet. Wupp! wieder einer weniger. Hinterher, vor allem nachts, machte es ihm Angst. Nicht weil es auch ihn einmal treffen könnte, sondern wegen der Befriedigung, die er dabei verspürte. Irgendwann, dachte er, wird dieser Krieg einmal zu Ende sein und was ist dann? Wo soll ich hin, was soll ich anfangen? Mit jedem Schlag gegen die Kinnlade, mit jeder Handgranate, die er warf und von der er hoffte, dass sie traf, verlor er ein Stück seiner selbst.
    Bis irgendwann nichts mehr davon übrig wäre.
    Es waren keine Menschen, auf die er da einschlug, sagte er sich immer wieder, es waren Kriegsmaschinen. Sie oder wir, dachte er. Dann schon lieber sie.
    Wo gehst du hin, wenn das hier einmal vorüber ist? hätte er Sommer gerne gefragt, als sie nachts zusammen Wache schoben. Sie lagen nebeneinander im ersten Graben, die Schutzbeutel griffbereit, die

Weitere Kostenlose Bücher