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Zitronen im Mondschein

Zitronen im Mondschein

Titel: Zitronen im Mondschein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mayer Gina
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meine braven Palauer.
    Vor fünf Monaten sind wir nun hier in New York angekommen, unsere spärlichen Mittel waren aufgebraucht, die Hoffnung desgleichen. In der Eastside fanden wir ein kleines Zimmer, das wir mit einem holländischen Paar und unzähligen Kakerlaken teilen. Ich versuche mit den verschiedensten Berufen, unsern Lebensunterhalt zu bestreiten, schleppe Kisten am Hafen, schaufle Steine und Kohlen; was wir nicht sofort aufbrauchen, legen wir zurück, denn wir benötigen falsche Papiere für die Heimreise. Ich werde einen Heuerboss bestechen, dass er mir eine Stelle als Trimmer auf einem neutralen Dampfer verschafft. Unerkannt zu bleiben, ist alles entscheidend, denn viele warten nur darauf, sich die Fangprämie zu verdienen, die hier auf die Deutschen ausgesetzt sind.
    Unsere Bekannten bedrängen uns, hier zu bleiben und das Ende des Krieges abzuwarten, aber es zieht uns zurück. Das Vaterland ist und bleibt eben das Vaterland, gerade in Zeiten der Bedrängnis. Auch wenn die Rückkehr nach Deutschland natürlich bedeutet, dass ich Soldat werde. Lieber ziehe ich aber für mein Land in den Krieg, als meine Nationalität noch länger verbergen zu müssen wie einen furchtbaren Makel.
    Werden wir uns dort in der Heimat wiedertreffen? All die Monate in der Fremde habe ich nichts von Dir vernommen, ich befürchte das Schlimmste und hoffe doch, dass es nur an den schlechten Postverbindungen liegt.
    In aufrichtiger Freundschaft
    Dein Max P .
     
    Postscriptum: Gerade erhielt ich Nachricht, dass mich morgen an einer bestimmten Stelle im Battery-Park ein Heuerboss erwartet, um Näheres zu besprechen. Wenn das Schicksal gnädig mit uns ist, neigt sich unsere Reise nun endlich einem Ende zu! Wenn das Schicksal gnädig mit uns ist.
Ludwig lachte spöttisch, während er den Brief neben seinem Bett zu Boden fallen ließ. Wenn Pechstein eine Ahnung hätte, was hier los war, würde er dort in New York bleiben und sein Vaterland und seine Freunde in guter Erinnerung behalten. Denn nichts war mehr, wie es gewesen war, damals vor über einem Jahr in Berlin, im Romanischen Café, im Neuen Club, in den Galerien und Kaffeehäusern und Bars. Aus dem Übermut von damals war bitterer Ernst geworden. Deutschland war eine schmutzige Insel in einem Ozean aus Blut, Eiter und Kot. Und auch er selbst, der Freund, dem sich Pechstein so verbunden fühlte, war nicht mehr wiederzuerkennen.
    In meinem Inneren bin ich schon tot, dachte Ludwig.
    Er musste plötzlich an den Sanitäter denken, den er in Flandern auf dem Feldbahnhof gesehen hatte. Vielleicht war es ja wirklich Pechstein gewesen. »Dann gnade dir Gott«, murmelte er, während er sich den schmerzenden Schenkel massierte. »Auch wenn es ihn gar nicht gibt.«
     
    Abends ging er zum Romanischen Café. Er war im Grunde überzeugt davon, dass es geschlossen wäre, aber dann sah er schon von weitem Licht hinter den schmalen, halbrunden Fenstern, und als er näher kam, hörte er Stimmen und Fetzen von Musik. Er schob die Tür ein Stück weit auf und schaute in den hohen, langen Raum hinein wie in einen Traum. Rechts saßen Slevogt und Liebermann an ihrem Stammtisch, und dahinter, am Dichtertisch, thronte die Lasker-Schüler und trank Tee. Er sah Kammerer, Meister und Herzfelde, obwohl der sich doch damals auch als einer der ersten freiwillig gemeldet hatte. Was machte er dann hier?
    Ludwig schob die Tür noch ein Stück weiter auf und atmete den vertrauten Geruch aus Pfeifenrauch, Zigaretten und nassen Mänteln ein. Plötzlich schmerzten seine Beine so furchtbar, dass er sich am Türrahmen festhalten musste, um nicht wegzusacken. Einer der Kellner wurde auf ihn aufmerksam. »Kommen Sie herein oder bleiben Sie draußen«, rief er ihm imVorübereilen zu. »Aber schließen Sie in Gottes Namen die Tür, es zieht!«
    Ludwig nickte und schloss die Tür, aber von außen. Mit langsamen, steifen Schritten entfernte er sich. Er hatte hier nichts verloren, er gehörte hier nicht hin. Er war ja nur zu Besuch in Berlin, und in weniger als drei Wochen musste er wieder zurück an die Front. Er hörte plötzlich das Surren einer Handgranate, die direkt auf ihn zuflog. Bevor er sich zusammenducken konnte, merkte er, dass es nur ein Fahrrad war.
    Mit letzter Kraft humpelte er zu einer Bank und ließ sich darauf sinken. Es war jetzt dunkel in Berlin, das war anders als früher. Die Straßenlaternen leuchteten noch, aber die meisten Leuchtreklamen waren abgeschaltet. Aus Pietät gegenüber den Soldaten, aus

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