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Zitronen im Mondschein

Zitronen im Mondschein

Titel: Zitronen im Mondschein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mayer Gina
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Sparsamkeit oder weil ohnehin keiner mehr Geld zum Einkaufen hatte. Auf der anderen Straßenseite flackerte ein einsamer Schriftzug. Die gute Schuhcreme verkündeten die geschwungenen Buchstaben, der Markenname selbst war nicht zu lesen, die entsprechenden Leuchtröhren waren wohl ausgefallen.
    Eine Dame mit Pelzkragen hastete an Ludwig vorüber, im Vorbeigehen warf sie ihm eine Münze in den Schoß. Ludwig fing sie auf und starrte eine ganze Weile darauf, bis er begriff. Sie hielt ihn für einen Kriegsversehrten, einen Invaliden, und sie hatte recht, er war vom Krieg versehrt, mehr als versehrt, er war völlig zerstört, und wenn er jemals wieder gesund werden wollte, dann durfte er nicht zurück an die Front. Dann durfte er auch nicht hier bleiben. Dann musste er weg.
    Es war so einfach, dass er sich wunderte, dass er nicht schon viel früher darauf gekommen war. Wenn er als Mensch überleben wollte, dann musste er weg.
    Er stand auf und ging weiter, seine Beine schmerzten immer noch, aber er beachtete den Schmerz nicht. Er gehörte nicht zu ihm, dieser Schmerz, es war ein Soldatenschmerz, aber Ludwig war jetzt kein Soldat mehr.
    Er war ein Deserteur.

Neuntes Kapitel
    I.
    Es gab keine heilige Mirabella. Das war das Erste, was die Schwestern damals herausgefunden hatten. Schwester Ludwiga hatte in dem großen Heiligenbuch nachgeschlagen, in dem alle Heiligen und Märtyrer und Namenspatrone verzeichnet waren, aber dann hatte sie das Buch kopfschüttelnd wieder zugeklappt. »Hast du denn keinen zweiten Namen?«, fragte sie Mirabella.
    »Dann soll die heilige Muttergottes deine Namenspatronin sein«, bestimmte die Mutter Oberin. »Immerhin ist Mirabella von Maria abgeleitet, quasi.« Mirabellas Namenstag würde also am 8. September gefeiert werden, an Mariä Geburt.
    Aber bis zu ihrem Namenstag im September, dachte sie damals, würde sie niemals in Heiligenbronn bleiben. Bis dahin hätte ihre Mutter sie längst wieder abgeholt. »Du wirst hier ein gutes Zuhause haben, bis wir dich wieder holen«, hatte sie ihr zugeflüstert, bevor sie gegangen war. Mirabella erinnerte sich noch genau an die Worte.
    Es stimmte jedoch nicht, sie hatte kein gutes Zuhause, sie fühlte sich zutiefst unwohl inmitten der Schwestern mit ihren schwarzen langen Kleidern, den weißen Tüchern, die Gesicht und Hals eng umschlossen und in einem kegelförmigen Ausschnitt auf der Brust endeten. Die schwarzen Hauben darüber sahen aus wie Fledermausflügel. Einige Gesichter waren rund, die anderen schmal, ansonsten sahen alle Nonnen gleich aus.
    Wenn ihre Mutter aber in dem ersten Punkt gelogen hatte, dann war vielleicht auch der zweite nicht wahr. Sie würde niemals wiederkommen und sie hier herausholen. Der Gedanke war zu furchtbar, um ihn weiterzudenken.
    Der 8. September war nun also Mirabellas Namenstag, und die Muttergottes persönlich war ihre Schutzpatronin. Sie schiensich dessen aber nicht bewusst zu sein, obwohl Mirabella sie so oft und nachdrücklich anrief. »Heilige Maria«, betete sie. »Hilf mir und errette mich von diesem Ort und bring mich zurück zum Zirkus Lombardi.«
    Entweder hörte sie die heilige Jungfrau nicht, oder sie fühlte sich nicht zuständig. Oder sie war wie die Mutter Oberin und all die anderen Schwestern der Meinung, dass ein Zirkus nicht der richtige Platz für ein kleines Mädchen war. »Man kann Gott nicht genug danken, dass es vorbei ist mit dem Lotterleben«, sagte Schwester Clementia. Bei dem Wort
Lotterleben
machte sie ihre Lippen ganz spitz, wie Enrique, wenn er ausspuckte.
    Mirabella wusste im Grunde von Anfang an, dass ihre Mutter nicht wiederkommen würde, sie hörte dennoch nicht auf zu hoffen. Vielleicht würde ihre Mutter ganz plötzlich auftauchen, wider Erwarten, nach dem Frühstück, während des Mittagessens, vor dem Zubettgehen. Vielleicht wäre sie auf einmal wieder da, in ihrem grauen Mantel, den roten Schal um den Hals, der einmal Mirabellas Weste gewesen war. Die alte Marthe hatte die Teile aufgeribbelt, nachdem Mirabella aus der Weste herausgewachsen war, sie hatte aus der Wolle den Schal gestrickt, aber Mirabella hatte sich geweigert, ihn zu tragen, weil er so kratzte. Also hatte ihn ihre Mutter genommen, und Marthe hatte Mirabella dafür ausgescholten. Undankbares Ding, hatte sie gesagt, manch ein Kind wäre froh um so einen schönen Schal.
    Jetzt würde ich ihn nehmen, dachte Mirabella. Lieber Gott, betete sie abends in ihrem Bett, wenn du sie wieder herbringst, dass sie mich hier

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