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Zitronen im Mondschein

Zitronen im Mondschein

Titel: Zitronen im Mondschein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mayer Gina
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Mantel und eine dunkle Kopfbedeckung. Schwester Clementia, dachte sie. Also doch.
    »Mirabella«, rief Schwester Clementia. Aber das war unmöglich, dass Clementia hier war, erkannte Mira jetzt, Clementia war ja tot, sie war an der Spanischen Grippe gestorben, vor vielen, vielen Jahren.
    »Frau Schwarz«, sagte Otto.
    »Mutter«, flüsterte Mira. Sie ließ Ottos Arm wieder los. Sie konnte sich gar nicht daran erinnern, wann sie ihn ergriffen hatte.
    »Ich muss mit dir reden!«, rief ihre Mutter laut, bevor sie Mira noch richtig erreicht hatte. Sie hatte den kleinen Pinscher an der Leine, den sie manchmal spazieren führte. Der Hund hechelte und ließ sich ziehen. »Es ist etwas geschehen.«
    »Ich habe kein Zeit«, sagte Mira. »Wir müssten längst weg sein.« Was immer ihre Mutter zu sagen hatte, sie wollte es nicht wissen. Jetzt nicht und später auch nicht.
    Der kleine Hund wollte auch nichts mehr wissen. Er ließ sich neben Miras Mutter auf den Boden fallen und schloss die Augen. Seine rosa Zunge hing aus seinem Maul, sie wirkte viel zu lang und zu groß für den kleinen Kopf.
    »Die Jungfrau Maria ist mir erschienen«, rief ihre Mutter. Sie rief es so laut, dass ihre Stimme durch die ganze Straße flog und in all die Fenster, die an diesem Sommerabend geöffnet waren, und in den Bäckerladen, wo Frau Walz ihre harten Brötchen vom Vortag anbot. Wahrscheinlich hörte es auch Anselm oben in der Wohnung, und es bestätigte ihn in seiner Meinung, dass Miras Mutter nicht klar bei Verstand war.
    Nur Otto lachte, weil er das Ganze für einen Scherz hielt. Er kannte ihre Mutter kaum.
    »Gehen wir nach oben«, sagte Miras Mutter aufgeregt und riss an der Hundeleine. Der kleine Hund öffnete die Augen und schloss sie wieder.
    Aber das ging ja nicht, oben war Anselm, und Mira war froh, dass sie endlich aus dem Haus war, sie wollte auf keinen Fall zurück. Glücklicherweise kam in diesem Moment die Elektrische.
    »Wir müssen, Mutter«, sagte sie hastig und zog Otto am Ärmel hinter sich her, so wie ihre Mutter vorher den Hund gezogen hatte. »Ich besuche dich in den nächsten Tagen.«
    Die Straßenbahn war fast leer. Sie ließ sich auf eine Bank fallen. Sie spürte den Holzsitz unter sich, hart und fest. Otto setzte sich neben sie. Kurz bevor der Schaffner die Türen schloss, drängte sich auch noch ihre Mutter herein. Als sie sich Mira und Otto gegenüber niederließ, schob sich ein Hundekopf aus ihrem Jackenrevers. Glänzende Pinscheraugen musterten Mira voller Verwirrung und Müdigkeit. Warum lasst ihr mich nicht in Ruhe? fragten die Augen, und genau das dachte auch Mira. Warum lasst ihr mich nicht einfach in Ruhe?
    Sie sprach den Gedanken jedoch nicht aus, weil sie Angst hatte, dass sich Schwester Clementia wieder einmischte oder die Mutter Oberin. Ich werde wahnsinnig, dachte sie. Ich verliere den Verstand.
    Die Elektrische klingelte laut und nervös, dann gab sie sich einen Ruck und fuhr an. »Mirabella, du musst mich anhören«, sagte ihre Mutter. »Die Muttergottes – sie hatte eine Nachricht für dich.«
    Mira seufzte. Ich werde wahnsinnig, und Mutter ist es schon, dachte sie.
    »Ich war eben im Park mit Rufus. Wir sind zum Ananasberg, zum Märchenbrunnen. Du kennst doch den Märchenbrunnen? Die drei Kinder in weißem Marmor, die die Frösche betrachten?«
    Ihre Mutter machte eine Pause und wartete, bis Mira nickte. Sie erinnerte sich an den Märchenbrunnen, weil Anselm ihn jedes Mal als bürgerlichen Scheißdreck bezeichnet hatte, wenn sie daran vorbeigelaufen waren. Früher waren sie sonntags immer im Hofgarten spazieren gegangen. Es war bestimmt über ein Jahr her, dass sie das letzte Mal dort gewesen waren, dachte Mira.
    »Die Kinder waren aber nicht mehr da«, sagte ihre Mutter.
    Wieder machte sie eine Pause, aber dieses Mal reagierte Mira nicht. Die Straßenbahn klingelte wieder und hielt. »Carlstraße«, rief der Schaffner.
    »Du musst mir glauben, Mirabella, die Kinder waren nicht mehr da, aber stattdessen war da die Jungfrau, die Muttergottes. Sie stand oben auf dem Brunnen, als gehörte sie dorthin, so dass ich sie zuerst gar nicht bemerkt habe, aber Rufus hat etwas gespürt. Er wurde ganz aufgeregt und bellte, und so bin ich überhaupt darauf aufmerksam geworden. Ich weiß, es hört sich alles vollkommen fantastisch an, aber es ist wahr, Mirabella, ich schwöre es.«
    »Was hat sie Ihnen denn gesagt, die Jungfrau Maria?«, erkundigte sich Otto. Er saß leicht vornübergebeugt, die Hände auf dem

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