Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zitronen im Mondschein

Zitronen im Mondschein

Titel: Zitronen im Mondschein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mayer Gina
Vom Netzwerk:
hatte ihr das immer gefallen, weil sie die neue Mira, Anselms Mira, viel lieber mochte als die Mira, die sie früher gewesen war.
    Die alte Mira hätte sich niemals auf eine Bühne gestellt und politisch agitiert. Die alte Mira hätte niemals mit lauter Stimme Kampflieder gesungen. Die alte Mira senkte den Kopf, blickte zu Boden und hatte keine Meinung und kein Rückgrat undkein politisches Bewusstsein. Der gelbe Mann, dachte sie, der gelbe Mann hätte gegen die neue Mira keine Chance.
    Aber Anselm war die neue Mira so egal wie die alte. Ich mag es, wenn die Dinge funktionieren, hatte er einmal über seine Parteiarbeit gesagt. Und das galt auch für sie.
     
    Ich will, dass du mit zu Eisler kommst – das war die Botschaft. Es war erstaunlich, in wie viele unendlich lange Sätze sich diese acht Worte verpacken ließen. Anselm redete und redete. »Nun hör doch einmal zu, Mira«, sagte er, obwohl sie seit einer Viertelstunde nichts anderes tat. »Ich bitte dich«, sagte er, doch genau das tat er nicht.
    Wenn er ehrlich gewesen wäre. Wenn er einfach zugegeben hätte, dass Eisler ihn nur deshalb eingeladen hatte, weil er Mira wiedersehen wollte, und dass Anselm ihm fest versprochen hatte, dass sie auch käme. Wenn er ein einziges Mal eingestanden hätte, dass er sie wirklich brauchte. Wahrscheinlich hätte sie ihre Verabredung abgesagt und Otto allein nach Eller geschickt. Wahrscheinlich hätte sie Anselm begleitet. Aber er brachte es einfach nicht über die Lippen.
    »Wenn du zu den Anarchosyndikalisten gehst, brauchst du nicht mehr wiederzukommen!«, schrie er stattdessen. Das war lächerlich, Mira zahlte über die Hälfte der Mietkosten. Aber bevor sie Anselm darauf hinweisen konnte, klingelte es wieder, und diesmal war es Otto.
    Er stand schon im Flur, als sie die Tür öffnete. Natürlich hatte er Anselms Geschrei gehört. Deshalb lächelte er nun sein spöttisches Lächeln, das Mira früher genauso gehasst hatte wie Anselm jetzt.
    »Guten Abend, die Herrschaften«, sagte er.
    Anselm prügelte sich nicht mit Nazis, aber Otto hätte er jetzt gerne ins Gesicht geschlagen, das war ihm deutlich anzusehen.
    Anselm und Otto waren sich im Januar bei einem von Miras Auftritten begegnet. Sie hatte sie einander vorgestellt, von der Bühne aus sah sie dann, wie sie nebeneinander standen, Otto mit den Händen in den Hosentaschen, grinsend, Anselm dieArme vor der Brust verschränkt, stirnrunzelnd. Anselm fand Otto frivol. Otto fand Anselm verbissen. Das sagten sie natürlich nicht zueinander, sondern zu Mira, obwohl sie keinen von beiden nach seiner Meinung gefragt hatte.
    Jetzt drehte Anselm Otto den Rücken zu und sah Mira an. »Deine Entscheidung steht also fest?«
    »Auf Wiedersehen«, sagte Mira und riss ihre Jacke vom Garderobenhaken. Dabei fiel auch Anselms Jacke zu Boden.
    Mira starrte auf die Jacke, und die beiden Männer starrten auf Mira. Sie warteten darauf, dass sie sich bückte, um die Jacke wieder aufzuheben. Ich habe das alles so satt, dachte sie plötzlich. Ich will nie mehr tun, was man von mir erwartet. Der Gedanke erfüllte sie mit einer großen Befriedigung. Sie fühlte sich auf einmal ganz leicht und frei, vollkommen schwerelos. Ich tue nur noch, was ich will, dachte sie.
    Dann hörte sie Schwester Clementia. Sie schien direkt neben ihr zu stehen, so deutlich war ihre Stimme. »Du dummes, ungezogenes Kind«, sagte die Schwester verächtlich. »Was glaubst du eigentlich, wer du bist!«
    »Dieser Trotz, dieser Trotz«, klagte Frau Anschütz, auch sie war auf einmal irgendwo im Raum. »Woher hat das Mädchen bloß diesen Trotz?«
    »Was geht nur in diesem Kopf vor?« Das war die Stimme der Oberin.
    Dann begannen sie alle durcheinander zu reden, die Klosterschwestern aus Heiligenbronn und die Oberin und Frau Anschütz. Hört auf! dachte Mira. Vielleicht sagte sie es auch laut, denn Anselm und Otto sahen sie erschrocken an. »Nein«, murmelte sie, aber gleichzeitig merkte sie zu ihrem Entsetzen, wie sie ganz langsam in die Knie ging.
    »Mira«, sagte Otto. »Wir müssen nun aber los.« Er stand plötzlich neben ihr und hielt sie am Ellenbogen fest. Da richtete sie sich wieder auf. Die Jacke blieb liegen.
     
    Ihr war ein bisschen schwindlig, als sie auf die Straße traten. Die Abendsonne hockte auf den Dächern der gegenüberliegendenHäuserreihe und bohrte ihre Strahlen in Miras Augen. Deshalb erkannte sie die Frau nicht, die quer über die Straße auf sie zueilte. Im Gegenlicht sah sie nur einen schwarzen

Weitere Kostenlose Bücher