Zitronen im Mondschein
mühevoll und anklagend nach oben. Man konnte auch nicht richtig gießen, wenn das Fenster sich nicht ordentlich öffnen ließ.
Sie machte das Fenster wieder zu. »Ich muss dann auch bald los.«
»Du hast noch eine halbe Stunde«, sagte Gudrun. »Was willst du auch da draußen bei den Anarchisten? Reicht es nicht, dass du dich für die Kommunisten ins Zeug legst?«
»Es sind Anarchosyndikalisten, aber mit denen habe ich nichts am Hut. Dieser Maler hat mich eingeladen. Er wollte immer, dass ich ihn einmal besuche. Und heute ist da draußen Sommerfest …«
»Nero Battaglia«, sagte Gudrun spöttisch. »Du hast einen seltsamen Männergeschmack, das muss man schon sagen.«
Otto begleitet mich, wollte Mira gerade sagen, aber dann schluckte sie die Worte hinunter. Was ging es Gudrun an, dass Otto ebenfalls eingeladen war?
»Was ist eigentlich mit Iris Pressmann?«, erkundigte sie sich stattdessen. »Es ist aus zwischen euch, oder nicht?«
Gudrun beugte sich über den Tisch und griff nach ihren Zigaretten. Es dauerte eine ganze Weile, bis sie eine Zigarette aus der Packung geschüttelt und angesteckt hatte. Dann drehte sich eine Rauchspirale zur Decke, und Gudrun blickte ihr nach, als habe sie etwas Derartiges noch nie gesehen. »Ach, die Pressmann«, sagte sie gelangweilt. Mehr sagte sie nicht.
Mira kämmte ihre Haare. Rapp, zapp, zapp, es ging jetzt ganz schnell und mühelos, nachdem sie sie im letzten Jahr endlich abgeschnitten hatte – obwohl Anselm sehr dagegen gewesen war.
»Alle Proletarierinnen tragen die Haare kurz«, hatte sie ihm erklärt. »Es ist viel fortschrittlicher.«
»Aber ich mag es in dieser Hinsicht lieber traditionell«, meinte er.
Doch nun war der alte Zopf ab, und Mira war froh darüber, es war eine solche Erleichterung, besonders an heißen und schwülen Tagen wie heute.
Sie zog das wassergrüne Kostüm an, das Gudrun ihr überlassen hatte, als sie noch ihr Modegeschäft und Geld hatte. Ein buntes Tuch um den Hals, ein Blick in den Spiegel. Ihre Mutter blickte zurück. Dann klingelte es.
Es war viel zu früh für Otto.
Es war auch nicht Otto, sondern Anselm.
»Gut, dass du da bist«, sagte er atemlos. »Ich habe meinen Schlüssel vergessen.«
»Ich bin gleich weg.« Warum musste er ausgerechnet jetzt kommen? Er und Otto mochten sich nicht, sie hatte gehofft, dass sie sich nicht treffen würden. Vielleicht wäre es am besten, sie würde unten auf der Straße auf ihn warten.
»Das geht nicht.« Anselm warf seine Mütze auf den Tisch und ließ sich auf einen Stuhl fallen. Dann nahm er seine Brille ab und massierte sich mit Daumen und Zeigefinger die Nasenwurzel. »Du musst mich begleiten.«
»Wann?«
»Heute Abend. Jetzt. Es ist sehr wichtig.«
Ohne Brille wirkte Anselm seltsam nackt. Direkt nach dem Weckerklingeln setzte er sie auf und nahm sie erst wieder ab, wenn sie abends das Licht löschten.
»Ich kann aber nicht. Ich habe eine Verabredung.«
»Sag sie ab! Eisler ist in der Stadt. Habe ihn heute Mittag zufällig getroffen. Er gibt ein Konzert in der Tonhalle, und wir sind dazu eingeladen. Du und ich. Besonders du. Und bringenSie Ihre entzückende Freundin mit, hat er ausdrücklich gesagt.«
»Eisler?«
»Der Komponist«, erklärte Anselm ungeduldig. »Ein wirklich Großer.«
»Er war aber recht klein. Und dick.« Jetzt erinnerte sich Mira wieder.
»Körperlich vielleicht. Wir müssen um acht Uhr dort sein. Ich muss aber vorher noch zu Bergdorf …«
»Ich kann nicht. Ich bin verabredet.«
Als er herausbekam, dass sie zu den Anarchosyndikalisten wollte, geriet er vollkommen außer sich. »Nie und nimmer!«, schrie er. »Diese hirnverbrannten Idioten! Diese Schwachköpfe sind schlimmer als die Faschisten! Du wirst nicht dort hingehen! Ich erlaube es nicht!«
»Was hast du mir denn zu befehlen?« Mira versuchte ruhig zu bleiben, aber ihre Stimme überschlug sich vor Aufregung.
»Ich bin dein Mann!« Dabei waren sie noch gar nicht verheiratet.
Sie hatte ihn noch nie so wütend erlebt. Er wurde immer lauter, er brüllte, bis der alte Herr Marquardt, der unter ihnen wohnte, mit dem Besenstiel an die Decke klopfte. Da riss er sich zusammen.
»Bitte, Mira, sei vernünftig«, sagte er leise, als sei sie es gewesen, die geschrien hatte. »Eisler erwartet dich doch.«
»Nero Battaglia auch.«
»Wer?«
Er weiß nichts über mich, dachte sie plötzlich. Er hat keine Ahnung, woher ich komme, was ich denke und was ich will. Es ist ihm auch vollkommen gleichgültig. Bisher
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