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Zitronen im Mondschein

Zitronen im Mondschein

Titel: Zitronen im Mondschein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mayer Gina
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schöne Mann! Es ist ein Jammer.«
    Die Lampe der Platzanweiserin leuchtete Mira durch den dunklen Saal bis zu ihrem Klappsitz in der ersten Reihe. Auf der Leinwand warf ein sehr dicker Mann einem sehr dünnen eine Sahnetorte ins Gesicht. Hinter Mira lachten die Leute. Wer immer heute am Klavier saß, klimperte einen schiefen Walzer. Während der ganzen Vorstellung wurde diese eine Melodie wiederholt, in leichten Abwandlungen, höher oder tiefer, langsamer und schneller, aber es gab keine Verbindung zwischen dem, was gespielt wurde, und dem, was auf der Leinwand geschah. Der Dreivierteltakt holperte dahin, die Schauspieler bewarfen sich mit Torten, beschütteten sich mit Wasser, bestäubten sich mit Mehl, und die Leute lachten, weil sie schließlich dafür bezahlt hatten.
    Miras Gedanken wanderten zu dem armen Pianisten mit dem schwachen Herzen und dann zu dem schönen Valentino mit den dunklen Lippen, den sie vor einigen Monaten noch als stolzen Scheich in der Wüste gesehen hatte. Plötzlich war ihr alles unerträglich – das grölende Publikum, die schiefen Töne, die Dunkelheit um sie herum. Den Weg nach draußen fand sie auch ohne die Lampe der Platzanweiserin. Die Kassiererin saß immer noch hinter ihrem Fenster, sie nickte Mira zu, als sie an ihr vorbeiging. »Es ist nicht dasselbe ohne unseren Herrn Bombacher«, sagte sie und tupfte sich wieder über die Augen.
    »Nein, es ist alles ganz furchtbar«, stimmte ihr Mira zu. Hoffentlich findet sich bald ein neuer Pianist, dachte sie. Plötzlich hatte sie das Gefühl, dass der alte Klavierspieler irgendwo stand und missbilligend den Kopf schüttelte, weil er ihre Gedanken gelesen hatte. Der Eindruck war so stark und unangenehm, dass sie sich hastig umsah, aber der Vorsaal des Lichtspieltheaters war leer. Sie beschleunigte ihre Schritte und floh ins Dämmerlichtder Sommernacht, aber sie spürte seine Blicke im Rücken, bis sie zu Hause war.
     
    Unten auf den Rheinwiesen hatten sich die Turner wieder aufgestellt. Sie trugen eng anliegende weiße Trikots, deren schmale Schulterträger sich über die kräftigen Schultern spannten. Aus den knielangen Hosenbeinen ragten muskulöse Waden, sie stemmten sich in den Boden, und dann ging es im Gleichtakt: auf und ab, mit nach vorne ausgestreckten Armen und ernstem Gesicht. Ein Vorturner gab mit lauter Stimme die Befehle. Auf sein Kommando ließen sich die Männer in den Liegestütz fallen, die Oberarmmuskeln quollen auf, die Gesichter röteten sich. Die Körper hoben und senkten sich wie das Hebelwerk einer gigantischen Maschine.
    Mira war mitten auf der Terrasse stehen geblieben, ein Tablett mit Kaffeetassen und Kuchenstücken in den Händen. Selbstvergessen schaute sie den Turnern zu und fragte sich, ob ihr Vater vielleicht einer von ihnen war. Der dritte von links in der zweiten Reihe hatte kräftiges dunkles Haar und einen langen Oberkörper wie sie selbst. Oder der rechts außen in der letzten Reihe, dessen Haare sich bereits lichteten. Aber sah sein schmales, ernstes Gesicht nicht ein bisschen so aus wie das ihre? »Da läuft einem das Wasser im Mund zusammen«, sagte ein älterer Herr neben ihr. Mira war sich nicht ganz sicher, ob er über den Kuchen auf ihrem Tablett sprach oder über die Athleten. Sie riss sich aus der Betrachtung und eilte weiter.
    Der Kaffee zu Tisch sechs, die Windbeutel an Tisch sieben, der Bienenstich … wo kam noch einmal der Bienenstich hin? Es würde ihr schon wieder einfallen, dachte Mira, während sie ihr Tablett auf einem Tisch an der Brüstung abstellte. »Noch zwei Mal Kaffee«, sagte sie, dabei schob sie die vollen Tassen auf den Tisch und stellte die bereits leeren auf ihr Tablett. Die beiden Gäste musterten sie nur kurz mit leerem Blick, dann wandten sie sich wieder den Turnern auf der Wiese zu. »Bitte schön«, sagte Mira. Der Mann runzelte die Stirn, die Fraunickte, ohne Mira dabei anzusehen. Ihre Kiefern bewegten sich im Gleichtakt mit den auf- und abschnellenden Armen der Sportler.
    Wer hatte den Bienenstich bestellt? fragte sich Mira, nachdem sie die Windbeutel serviert hatte. Und wieso brachte sie hier auf der Kaffee-Terrasse ständig die Bestellungen durcheinander, während sie drüben im Restaurant so gut wie nie etwas vergaß oder verwechselte? Weil ich immer so erschöpft bin, wenn ich hier meinen Dienst beginne, dachte Mira, während ihr Blick ratlos über die Tische glitt. Nach der stundenlangen Rennerei im Restaurant brannten ihre Schultern, und ihre Füße fühlten

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