Zitronen im Mondschein
verführerische Salome, die es dem König Herodes so angetan hatte. Bis sie begriff, dass Salome längst auf der Bühne war: eine dicke Sängerin mit rubinrotem Kleid und durchdringender Stimme, die so grazil wirkte wie der Tanzbär, den sie damals im Zirkus gehabt hatten. »Magnifique«, hörte sie eine Frauenstimme in der Reihe hinter sich, sie drehte sich unwillkürlich um, um zu sehen, ob es Ernst oder Spott war. Auf der Galerie war es aber zu dunkel, um die Gesichter der Zuschauer zu erkennen.
Vorhin, auf dem Weg zu Gudrun, war sie an Kinoplakaten vorbeigekommen. Im Odeon lief ein Musikfilm über ein Hotel am Wolfgangssee. Wäre ich nur dort, dachte sie jetzt sehnsüchtig. Sie hatte es die ganze Woche nicht ins Kino geschafft. Die Kassiererin und der alte Mann am Klavier wunderten sich bestimmt schon.
In der Pause gingen sie wieder hinunter ins Foyer. Frau Pressmann und die andere Frau, die Mira nicht vorgestellt worden war, rauchten. Ihre Zigaretten steckten in langen Elfenbeinhülsen, dennoch machten sie die Münder ganz spitz, um ihren Lippenstift nicht zu verwischen. Herr Pressmann holte ein Etui aus der Fracktasche und bot Gudrun und Mira eine Zigarre an, worüber Gudrun lachte. »Was möchten die Damen trinken?«, fragte er dann. »Einen Cocktail?«
Gudrun lachte wieder, ihr Ellenbogen stieß in Miras Seite. »Einen Manhattan«, sagte sie. Herr Pressmann sah Mira an. »Nichts«, meinte sie schnell. »Und danke der Nachfrage.«
»Sicher?«, fragte er, dabei hatte er sich aber schon weggedreht.
Seine Frau und die Freundin wünschten Champagner, Herr Pressmann selbst holte sich einen Whisky. »Klar und ehrlich«, sagte er, während er mit Gudrun anstieß.
»Wie finden Sie die Vorstellung?«, fragte Frau Pressmann in die Runde, wobei sie weder Gudrun noch Mira ansah.
»Konventionell, äußerst konventionell«, sagte ihre Freundin und zupfte an ihren langen Ohrringen.
Herr Pressmann lachte, als habe sie einen besonders gelungenen Scherz gemacht. »Gleich kommt der Tanz mit den sieben Schleiern«, verkündete er. »Und der Kopf auf dem Tablett. Dolle Sache.« Er zog an seiner Zigarre und blies den Rauch aus, seine Frau verschwand hinter einer weißen Wolke. Mira sah gerade noch, wie sie die gezupften Augenbrauen hochzog. Sie wünschte sich plötzlich, dass sie doch einen Drink genommen hätte, eine Limonade, ein Glas Wasser, einen Schnaps, irgendetwas, an dem sie sich jetzt festhalten könnte.
»Er ist im Grunde ein feiner Kerl«, sagte Gudrun, als sie mit einer Autodroschke nach Hause fuhren, die Pressmann vorher bezahlt hatte. »Ein bisschen ungehobelt mitunter.«
»Warum tut er das alles für dich?«, fragte Mira. »Was will er von dir?«
»Er kann mich eben gut leiden«, sagte Gudrun.
»Das ist alles?« Mira wandte die Augen ab, sie blickte durch das kleine Rechteck des Fensters, hinter dem die bunten Lichter der Stadt vorbeiflogen wie tropische Vögel, wie Blumen in einem riesigen Dschungel.
Diamantine Edel-Schuhputz, Kronen-Hotel, MAGGI’s-Suppenwürze .
Schwarze Menschen vor den grell beleuchteten Auslagen der Geschäfte. Je weiter sie in den Süden der Stadt kamen, desto seltener wurden die Neonlichter. Jetzt leuchteten nur noch gelbe Straßenlaternen auf. Eine einsame Leuchtreklame flatterte heran und war wieder weg, bevor Mira die orangeroten Buchstaben gelesen hatte.
»Niemand tut irgendetwas umsonst«, sagte Mira gedankenverloren, mehr zu sich selbst als zu Gudrun. »Jeder will einen Gegenwert für das, was er gibt.« Das waren nicht ihre Worte, sie hatte sie irgendwann einmal gehört. War es Frau Anschütz gewesen, die das gesagt hatte? Es waren nicht ihre Worte, aber sie war fest davon überzeugt.
Niemand tut irgendetwas umsonst.
Sie sah plötzlich wieder die dicke Sängerin vor sich, wie sie vor dem gierigen Herodes und seinem Hofstaat den Schleiertanz darbot. Auch Salome hatte ihren Preis, sie wollte den Kopf des Propheten Jochanaan als Gegenleistung, und sie bekam ihn. Mira dachte an den blutverschmierten Schädel, den vier geschminkte Negersklaven auf die Bühne getragen hatten, und schauderte. Es war nur Wachs und Farbe, aber es hatte so echt ausgesehen.
»Pressmann bekommt ja auch einen Gegenwert«, sagte Gudrun neben ihr trotzig. »Mein Salon wird eine Goldgrube, und er ist am Gewinn beteiligt.«
Mira nickte und schwieg. Vielleicht hatte Gudrun recht. Sie blickte aus dem Fenster. Alles war in Bewegung, die hellen Lichtkreise um die Laternen, hier und da das gelbe Viereck
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