Zitronen im Mondschein
eines Fensters und die Dunkelheit darum herum.
Am Mittwochabend ging sie ins Kino. Sie war zu spät, die Vorstellung hatte bereits begonnen, und als sie ihre fünf Groschen über die Theke schob, sah sie, dass die Dame hinter der Kasse weinte. »Was ist denn geschehen?«, fragte sie betroffen undzugleich ein bisschen widerwillig, weil sie nicht noch mehr von dem Film verpassen wollte.
Ihre Mutter war schuld daran, dass sie sich so verspätet hatte. Als Mira gerade das Haus verlassen wollte, war sie aufgetaucht und hatte ihr eine halbe Stunde lang von den Hüten erzählt, die sie schon dekoriert hatte und noch dekorieren wollte, wie sie sich die Entwürfe vorstellte und dass sie nachts nicht einschlafen konnte vor Anspannung wegen der ganzen Arbeit. »Deine Hilde macht sich«, sagte sie. »Auch wenn man sie natürlich in jeder Hinsicht einarbeiten muss. Sie ist ja noch gänzlich unerfahren, aber nicht ungeschickt.«
Mira brauchte einen Moment lang, bis sie darauf kam, dass ihre Mutter von Hilde Kanzinger sprach, der schwitzenden Hilde. »Hilde macht sich?«, fragte sie erstaunt.
»Wundert dich das?«, fragte ihre Mutter zurück. »Du hast sie mir doch selbst empfohlen.«
Mira hätte gerne gefragt, ob ihre Mutter der Schweißgeruch nicht störte oder ob Hilde aufgehört hatte zu schwitzen, aber im nächsten Augenblick schlugen die Glocken von St. Peter am Marktplatz sieben Uhr. »Ich muss los«, sagte Mira und stand auf.
»Eine Verabredung?« Ihre Mutter erhob sich ebenfalls. »Mit einem jungen Mann vielleicht?«
»Was? Niemand. Unsinn. Ich wollte … ins Kino.«
»Ja, sicher.« Die schwarz umrahmten Augen zwinkerten ihr zu. »Ach, übrigens«, meinte ihre Mutter dann. »Wenn du Gudrun siehst, kannst du ihr bestellen, dass sie mich einmal aufsuchen möchte?«
Erst dieser Franz, jetzt ihre Mutter. Wenn das so weiterging, wurde Mira zu Gudruns persönlichem Sendboten, der kostenlos Nachrichten übermittelte. »Hast du wieder eine Geistererscheinung gehabt, was ihren Modesalon betrifft?«
Ihre Mutter ignorierte die Spitze. »Nein«, erwiderte sie so ruhig, als nehme sie Miras Frage durchaus ernst. »Ich wollte ihr einen Vorschlag machen. Wenn sie sich schon in ihr Unglück stürzt, kann man wenigstens versuchen, das Beste daraus zu machen.«Sie betrachtete gedankenverloren ihre Finger, deren Kuppen von winzigen roten Punkten übersät waren. Nadelstiche.
»Worum geht es denn?«, fragte Mira neugierig.
»Ich dachte, du hast es so eilig.« Ihre Mutter hob die Augenbrauen, die innen breiter waren und außen schmal wie ein Pinselstrich. »Ich übrigens auch. Viel Spaß also bei deinem … Film, Mirabella.«
Mira war den ganzen Weg bis zum Kino gerannt, und jetzt sah sie der Kassiererin beim Weinen zu. Sie rang nach Atem, während sich die Dame zuerst in ein feines weißes Taschentuch schnäuzte und sich dann damit über die Lider tupfte. Auf diese Weise verteilte sie ihre Wimperntusche gleichmäßig über die ganze Augenpartie. Auf dem Kinoticket, das sie Mira durch das kleine Fenster reichte, prangte ein runder Tränenfleck. »Haben Sie es denn nicht gehört?«, fragte sie. Der Tropfen dehnte sich langsam kreisförmig auf der hellgrünen Pappe aus, wobei sich die zerlaufene Schminke wie ein dunkler Ring um das nasse Innere legte. »Herr Bombacher ist tot.«
»Herr Bombacher«, wiederholte Mira verständnislos, während sie in ihrem Gedächtnis nach einem Bild suchte, das sich mit diesem Namen verband.
»Unser Klavierspieler.«
»Der alte Mann am Piano«, meinte Mira betroffen.
»Er war gerade einmal fünfzig«, sagte die Dame vorwurfsvoll. »Das ist doch kein Alter.«
»Keineswegs«, stimmte ihr Mira zu. Der Klavierspieler war ihr immer viel älter erschienen. Vielleicht hatte er seine Krankheit schon lange in sich getragen.
»Es war das Herz«, erklärte die Kassiererin. »Er ist aber ganz friedlich gestorben, sagt seine Tochter. Das ist doch ein Trost.«
Mira nickte und starrte auf den Münzteller hinter dem Kassenfenster, dessen Metall außen ganz blank war und innen zerkratzt und blind.
»Und jetzt Valentino«, sagte die Dame. »Das ist doch furchtbar. Ein Unglück nach dem anderen.«
»Was ist mit Valentino?«, fragte Mira behutsam.
Die Kassendame hob die schwarz verschmierten Augen und sah Mira an. Winzige Tränen glitzerten an den Spitzen ihrer Wimpern. Sie wirkte plötzlich selbst wie ein tragischer Leinwandstar.
»Lesen Sie denn keine Zeitung? Valentino ist doch auch tot. Der junge,
Weitere Kostenlose Bücher