Zitronen im Mondschein
Gudrun das Thema. »Salome. Die Vorführung ist am Sonnabend. Kommst du mit?«
»Du in der Oper? Das ist ja etwas ganz Neues.«
Gudrun strich gedankenverloren über einen der Stoffballen auf dem Tisch.
»Aha«, sagte Mira. »Pressmann.«
»Und seine Frau«, meinte Gudrun sofort. »Sie haben ein Abonnement im Opernhaus, und just an diesem Samstag sind zwei andere Abonnenten verhindert.«
»Da sind sie ausgerechnet auf dich gekommen.«
»Warum denn nicht? Aber bitte, wenn du nicht willst …«
Mira zögerte einen Moment lang. Sie war noch nie in der Oper gewesen, sie war sich auch nicht sicher, ob es ihr gefallen würde. Sie machte sich nicht viel aus klassischer Musik, aber zum einen war es umsonst, und zum anderen war sie doch neugierig darauf, diesen Pressmann einmal kennenzulernen.
»Also gut«, sagte sie. »Wenn ich nur keine Cocktails trinken muss.«
»Hol mich um sieben Uhr ab«, bestimmte Gudrun. »So und nun lass uns gehen!« Sie klatschte in die Hände. Obwohl gerade zwei Damen neben Mira an die Theke traten, holte sie ein Schild unter dem Ladentisch hervor und legte es auf die Theke.
Vorübergehend geschlossen. Die Herrschaften werden gebeten, sich kurz zu gedulden.
»Musst du nicht noch bis um sieben …?« Miras Blick wanderte von den irritierten Kundinnen zu Gudrun und wieder zurück.
»Das hat sich erledigt«, sagte Gudrun so laut, dass es auch die beiden Frauen hören konnten. »Mich haben sie hier rausgeworfen. Auf den Lohn für die letzten Tage pfeife ich. Sollen sie doch sehen, wie sie ohne mich zurechtkommen.«
Mira hatte erwartet, dass sie in einer separaten Loge sitzen würden, Herr und Frau Pressmann, Mira und sie selbst. In der Düsseldorfer Oper gab es jedoch keine Logen, sondern nur drei Galerien, eine über der anderen, die sich im Halbkreis um die Bühne wanden. Und in der Mitte der vordersten Reihe der obersten Galerie saßen sie.
Mira saß am Gang, dann kam Gudrun, neben ihr war Herr Pressmann, es folgte seine Frau, die wiederum ihrerseits eine Freundin mitgebracht hatte, mit der sie sich angeregt unterhielt. Mira bemühte sich, ihren Blick nach vorn zu richten, auf den roten Vorhang vor der Bühne, auf die Köpfe der Musiker im Orchestergraben, aber immer wieder glitten ihre Augen wie von selbst nach rechts zu dem Ehepaar. Frau Pressmann war ein kleines Stück größer als ihr Mann, doch vielleicht täuschte sich Mira auch. Frau Pressmann hielt sich so aufrecht, und er saß leger in seinem Sessel, die Beine nach vorn ausgestreckt, soweit es die beschränkten Sitzverhältnisse zuließen. Ihre braunen Haare waren kurz geschnitten, die Wasserwellen endeten unmittelbar unter dem Ohr. Er trug seine dunklen, weichen Locken nach hinten gekämmt, wenn er den Kopf senkte, konnte man zwischen den Haarsträhnen seine Kopfhaut sehen.
Als sie sich vorhin im Foyer getroffen hatten, hatten sie Mira kurz die Hand gereicht. Ein schnelles Lächeln. Die Blicke oberflächlich und gleichgültig. Mira war keine klassische Schönheit wie Gudrun, die in ihrem schlichten schwarzen Kleid, den Schnallenschuhen und den langen Spitzenhandschuhen, die sie sich im letzten Winter bei Tietz gekauft hatte, durchaus mit den eleganten Damen der Düsseldorfer Gesellschaft mithaltenkonnte. Mira trug das Kostüm, das sie immer trug, wenn sie zu einem offiziellen Anlass eingeladen war, und obwohl Jacke und Rock taubenblau waren, kam sie sich vor wie eine graue Maus.
Von ihrem Platz aus sah Mira Frau Pressmanns Brüste, das weit ausgeschnittene Dekolleté, unter dem das Kleid wie ein Sack nach unten fiel. In Höhe der Oberschenkel endete es in zahllosen silberfarbigen Schnüren, die ihre wohlgeformten Beine umspielten, ohne sie ganz zu verdecken. War sie schön? Vielleicht. In jedem Fall war sie beeindruckend. Ihre schwungvoll gezupften Augenbrauen, die langen Wimpern, die sorgfältig ausgemalten Dreiecke ihrer Oberlippe – Frau Pressmann war ein Kunstwerk.
Dann gingen die Kronleuchter über dem Parkett aus, nur die lilienartig geformten Wandleuchter in den Rängen blieben an. Der rote Vorhang öffnete sich schwerfällig. Man applaudierte.
Die Sänger betraten die Bühne, Herren mit schmetternden Stimmen und dünnen Beinen in historischen Kostümen. Kräftige Damen mit mächtigen Busen. Eine Arie ging in die nächste über, manchmal sang der Chor, und Mira hatte große Mühe, der Handlung zu folgen, weil sie die Sänger nicht verstand. Sie wartete die ganze Zeit auf den Auftritt der Hauptfigur, auf die
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