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Zitronen im Mondschein

Zitronen im Mondschein

Titel: Zitronen im Mondschein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mayer Gina
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nach einer Vorstellung in Neukirchen ihr Quartier suchten.
Im Mausegatt
hieß die Straße, in der der Genosse wohnte, bei dem sie übernachten sollten, aber sie irrten nun schon über eine halbe Stunde herum und fanden sie nicht.
    »Nach den Wahlen haben wir alle Pause und können uns ausruhen«, meinte Mira. Die Vorstellung machte ihr allerdings Angst, dass sie nach dem Wahltag nichts mehr zu tun hätte. Was wird aus mir und Anselm, dachte sie. Wenn die Kommunisten verlieren, erwartet er, dass ich ihn tröste. Wenn die Kommunisten gewinnen, erwartet er, dass ich mich mit ihm freue.
    »Was ist eigentlich mit deiner Frau?«, wechselte sie das Thema. »Nimmt sie es nicht übel, dass du dich so gar nicht um sie kümmerst?«
    »Das Kind kann jeden Tag kommen«, sagte Lari, als wäre das eine Antwort.
    »Warum bist du dann nicht bei ihr?«
    Er blieb stehen und sah sie überrascht an. »Die Partei ist mein Leben«, sagte er. »Ich kämpfe dafür, dass wir die Macht erringen. Jetzt kommt es doch darauf an. Jetzt geht es doch um alles.«
    Vier Sätze wie Überschriften auf Wahlplakaten.
    »Aber deine Frau braucht dich. Es ist ihr erstes Kind.«
    »Aber nun ist nicht die Zeit zum Händchenhalten und für schöne Worte. Wir müssen alles geben für den Sieg der proletarischen Sache. Wir haben doch schon so vieles erreicht. Den Kapp-Putsch haben wir zurückgeschlagen und die Separatisten, die unser schönes Rhein-Ruhr-Gebiet an die französischen und belgischen Konzerne verschachern wollten. Wenn wir Arbeiter uns nicht dagegen aufgelehnt hätten, wäre die Sache verloren gewesen«, rief Lari mit leuchtenden Augen. »In Russland sah die ganze Angelegenheit noch viel hoffnungsloser aus als hier, aber dennoch haben sie den Zaren zum Teufel gejagt und die sozialistische Sowjetunion errichtet. Und was dort gelungen ist, wird mit Hilfe der Internationalen auch in Deutschland glücken.«
    Er redete und redete, die Sätze sprudelten aus ihm heraus wie aus einem Grammophon. Die gleichen Sätze, die er schon so oft gesagt hatte. Zu seiner Frau, wenn sie sich darüber beklagte, dass er so selten zu Hause war, zu den Kunden, die er mit Kohle belieferte, zu seinen Genossen in der Partei, wenn sie zu zweifeln begannen. Und jetzt zu Mira.
    Er war wie Pfarrer Labs in Heiligenbronn, als ihn die dumme Cäcilie einmal gefragt hatte, ob er wirklich an Gott glaube. Auch Pfarrer Labs hatte nicht mehr aufgehört zu reden, von der Gnade des Glaubens, von der Liebe zu Gott und den Anfechtungen des Teufels. Dass man seine Zweifel mit der Wurzel ausreißen musste, sonst sei alles zu spät. So ist das also, dachte Mira überrascht. Wir haben unseren Glauben gar nicht aufgegeben. Wir haben ihn nur ersetzt. An die Stelle der Kirche ist die Partei getreten, unser Gott ist Moskau, und unsere heilige Messe ist der Agitprop.
    »Hammer und Sichel, das sind die Zeichen der Zukunft. Die Proletarier werden siegen«, rief Lari. Er riss die Augen auf undrollte mit den Augäpfeln, aus Gewohnheit oder weil er seinen Worten damit mehr Nachdruck verleihen wollte.
    »Komm, Lari«, sagte Mira, während sie sich langsam wieder in Bewegung setzte. Sie war heiser vom Deklamieren und Agitieren, und ihre Füße taten weh. Das rote Haus mit dem geschwungenen Giebel kam ihr so bekannt vor, sie waren bestimmt schon drei Mal daran vorbeigegangen. »Lass uns dieses verdammte Mausegatt finden und unser Quartier.«
     
    Das Sonnenlicht floss durch die Blätter der Erle und sprenkelte den Boden. Fröhliche sonnengelbe Flecke, wenn ein Wind ging, hüpften sie auf und ab, als ob sie über etwas lachten. Jemand hatte Immergrün auf das Grab gepflanzt, die langen Ranken hingen wie ein loses Netz über der braunen Erde. Mira hatte einen Strauß Rosen mitgebracht, dunkelrote Rosen, denn heute war Wahltag.
    Gleich nachdem am Morgen die Wahllokale geöffnet hatten, war sie wählen gegangen. Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei. Sozialdemokratische Partei Deutschlands. Deutsche Zentrumspartei. Kommunistische Partei Deutschlands. Das waren die ersten vier Parteien auf dem Stimmzettel, weiter brauchte sie auch nicht zu lesen. Sie machte ihr Kreuz in den Kreis hinter der Nummer vier und stellte sich vor, dass der Nazi, der Nero erschossen hatte, in diesem Moment ebenfalls sein Kreuz machte, hinter der Nationalsozialistischen Partei, unter die man vorsichtshalber Hitlerbewegung gedruckt hatte, für alle, die zu dumm waren, das eine mit dem anderen in Verbindung zu bringen.
    Lange nachdem

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