Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zitronen im Mondschein

Zitronen im Mondschein

Titel: Zitronen im Mondschein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mayer Gina
Vom Netzwerk:
ihrerseits zu Maria herüber. Auch als sich ihre Blicke begegneten, wendete sie die Augen nicht ab. Marias Herz wanderte hoch in ihren Hals, dort schlug es wild und aufgeregt.
    »Wer sind Sie? Was wollen Sie hier?«, rief sie, aber ihre Stimme klang plötzlich so dünn und ängstlich, dass sie sich nicht sicher war, ob sie überhaupt bis zu der Fremden hinüberdrang. Sepp und Anton hörten sie jedoch, sie hörten auchdie Angst in ihren Worten und unterbrachen ihr Spiel, aber diesmal reckte Sepp seinen kleinen Fäuste nicht nach oben, und auch Anton ließ die Arme hängen.
    »Hier gibt es nichts zu holen«, rief Maria.
    Die Frau lachte. Sie hatte sehr schwarzes Haar, das jegliches Licht zu verschlucken schien wie ein tiefes Loch. Auch ihre Brauen und die Augen waren sehr schwarz, was die seltsame Blässe ihrer Haut noch betonte. Sie sieht nicht aus wie eine Zigeunerin, dachte Maria.
    »Ich will auch nichts holen«, sagte die Frau in ihre Überlegungen hinein. »Ich will etwas bringen.« Ihre Stimme klang nicht wie die einer Zigeunerin, sie hatte keinen fremdländischen Akzent, sie sprach aber auch nicht Hohenlohisch wie Maria und alle anderen in der Gegend.
    »Wir brauchen nichts«, sagte Maria hastig. Sie stand auf, legte die halb gerupfte Gans auf den Korb mit den Federn und fegte sich mit den Handrücken die Daunen vom Kleid. Sie wusste nur zu gut, dass die Zigeuner einem immer etwas verkaufen wollten, Perlen aus Elfenbein, die in Wahrheit aus Hühnerknochen waren, glitzernde Edelsteine aus Glas, wertlosen Plunder, für den sie einem stets viel zu viel Geld abnahmen.
    Die Frau lachte wieder und kam dabei langsam auf sie zu. Ihre weiße Haut war glatt und straff, aber nicht rosig wie die Haut einer jungen Frau, sondern irgendwie fahl und glanzlos. Wie alt mochte sie sein? Sehr viel jünger als Maria. Oder sehr viel älter. Es beunruhigte sie zutiefst, dass sie ihr Alter so überhaupt nicht einschätzen konnte – und dass sie immer näher kam. »Bleiben Sie doch stehen«, rief Maria und streckte dabei beide Handflächen gegen die Fremde.
    Aus dem Augenwinkel sah sie, dass Sepp ihr einen verschreckten Blick zuwarf. Aber sie konnte sich jetzt nicht um ihn kümmern, die Frau erforderte all ihre Aufmerksamkeit.
    »Keine Angst«, sagte die Fremde leise. Und es wirkte: Marias Furcht verflog von einem Augenblick zum anderen.
    »Ich will dir etwas geben«, sagte die Frau noch einmal. Sie ging wieder einen kleinen, zögerlichen Schritt auf Maria zu,griff dabei mit der Hand in ihre Rocktasche. Vielleicht suchte sie nach einem Messer.
    Die Angst kehrte zurück.
    »Halt!«, rief Maria. »Ein für alle Mal!« Da verschwand die Frau. Sie drehte sich aber nicht um und verließ den Hof, sie war einfach weg, von einem Augenblick zum anderen.
    »Was zum Teufel …« Maria fuhr herum, ob sie vielleicht hinter ihr stünde, aber da war niemand. Nur Sepp und Anton, die sie mit großen, angsterfüllten Augen ansahen.
    »Was hast du denn, Maria?«, fragte Sepp. »Warum guckst du denn so komisch?«
    »Hast du die Frau nicht gesehen?«, fragte sie.
    »Welche Frau?«, fragte Sepp.
    »Ma’ia«, sagte Anton, der das »R« noch nicht aussprechen konnte. »G’oße Ma’ia.«
    Sie ging zu ihm, strich ihm über die Stoppelhaare und spürte, wie er sich sofort beruhigte.
Große Maria
. Sie fühlte sich aber nicht groß, sondern ganz klein. Ihr war auf einmal so kalt, und sie hatte ein Ziehen im Bauch, es war ein bisschen wie Durst und ein bisschen wie Hunger und doch ganz anders. Es war ein Gefühl, wie sie es damals gehabt hatte, als die Eltern sie für drei Tage zur Tante nach Altdorf gebracht hatten. Heimweh.
     
    Sie sagte den anderen nichts von der seltsamen Erscheinung, und als ihre Brüder von ihrem Selbstgespräch im Hof erzählten, lachte sie und tat es als eine Spinnerei ab.
    Ihre beiden Schwestern hatten ohnehin anderes im Kopf. »Wann dürfen wir zum Zirkus?«, bedrängten sie die Mutter, kaum dass der Vater nach dem Abendbrot aus dem Raum war. »Bitte, lass uns jetzt noch auf einen Sprung zum Anger.«
    »Es wird doch bald dunkel.« Die Mutter trug die Teller zum Spülstein, dann schob sie die Ärmel ihrer Bluse nach oben. Über ihren rechten Unterarm zog sich ein hässlicher dunkelvioletter Fleck. »Morgen könnt ihr hin, in Gottes Namen.«
    »Darf ich auch hin, Mutter?«, fragte Sepp mit sehr viel Hoffnung in der Stimme. »Bitte?«
    »Ihr beiden Kleinen dürft euch die Menagerie anschauen«, sagte die Mutter, während sie Wasser aus

Weitere Kostenlose Bücher