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Zitronen im Mondschein

Zitronen im Mondschein

Titel: Zitronen im Mondschein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mayer Gina
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habe, so habe ich es zum Glück doch noch bekommen.
     
    In dieser ersten Zeit im Zirkus Lombardi waren alle Männer hinter Maria her. Sie hätte jeden von ihnen haben können, Silvan, der die Pferde dressierte, Marco den Schwertschlucker, Blasius, der mittags für alle kochte und mit der Seiltänzerin Eva verheiratet war. Die Liliputaner und die Akrobaten und die Clowns. Vielleicht sogar Herrn Lombardi, den Zirkusdirektor. Sie dachte noch darüber nach, wen sie zuerst erhören sollte, als Madame Argent sie warnte.«Nimm keinen von ihnen«, riet sie Maria in einer anderen Nacht, in einer anderen Stadt.«Lass die Finger von den Zirkusmännern! Du bringst dich sonst ins Unglück.«
    «Soll ich etwa leben wie eine Nonne?«, protestierte Maria, die sich schon fast für Vanja entschieden hatte, der mit seinen Brüdern und Eva auf dem Seil tanzte. Er hatte einen schönen, kraftvollen Körper und starke Hände, mit denen er Eva packte, wenn sie am Ende des Auftritts hoch in die Luft sprang und beim Landen das Seil verfehlte. Ihr kleiner rosa Schirm segelte nach unten in die Manege, aber Eva hing an Vanjas muskulösemArm, und das Publikum stöhnte vor Erleichterung, wenn er sie wieder nach oben aufs Seil zog. Vor ein paar Tagen hatte Vanja Maria einen schmalen Goldring mit einem kleinen Stein geschenkt, der glitzerte wie ein Diamant.«Tanz einmal mit mir«, hatte er ihr geantwortet, als sie ihn gefragt hatte, was er dafür als Gegenleistung erwartete. Sie wusste aber, dass er auf mehr hoffte, und sie wäre auch durchaus bereit gewesen, es ihm zu geben, denn er war jung und schön.
    «Willst du ihn heiraten?«, fragte die Wahrsagerin jetzt ins Dunkle hinein.
    «Wen? Vanja?«, fragte Maria zurück, obwohl Madame Argent ja gar nicht wissen konnte, dass sie an den Seiltänzer dachte. Vielleicht hatte sie es aber schon vorher in ihren Augen gelesen.
    «Nein«, meinte Maria, als Madame Argent nichts sagte.«Natürlich will ich ihn nicht heiraten.«
    «Wenn du mit einem von ihnen etwas anfängst, musst du ihn heiraten«, erklärte Madame Argent.«Du magst glauben, dass die Sitten hier lockerer sind als bei euch in der Stadt und die Moral nicht so gefestigt, aber du täuschst dich, es ist gerade das Gegenteil der Fall. Wenn du dich mit mehr als einem einlässt, bringen sie sich erst gegenseitig um. Und dann steinigen sie dich – wenn die Weiber es nicht vorher für sie erledigt haben.«
    Ihre Stimme klang wie zerbrochenes Glas. Maria schauderte. Obwohl noch nichts geschehen war, fühlte sie sich plötzlich wieder wie in jener Nacht, als sie Bruno gesagt hatte, dass sie ein Kind von ihm erwartete, kalt und schmutzig.
    Am nächsten Morgen gab sie Vanja seinen Ring zurück.
     
    Wenn sie in irgendeiner dieser namenlosen Städte auftraten, sah Maria manchmal ihre Familie im Publikum. Ottilie mit dem kleinen Sepp auf dem Schoß, Edda und Anton. Dahinter saßen ihre Mutter und der Vater, die früher niemals in den Zirkus gegangen waren. Die ersten Male erschrak sie furchtbar. Sie sind gekommen, um mich zurückzuholen, dachte sie und verbarg sich schnell hinter einem Vorhang. Vielleicht haben sie mich noch nicht gesehen.
    Wenn sie danach noch einmal hinblickte, erkannte sie, dass sie es gar nicht waren. Da saßen irgendwelche Fremden, die sie noch nie zuvor gesehen hatte.
    Noch öfter besuchten sie Maria im Traum. Nun bekomme ich deine Hiebe, sagte Edda anklagend und zeigte ihre nackten Arme, die mit grünen und blauen Flecken bedeckt waren. Komm zurück!
    Komm zurück! flehte auch ihre Mutter. Du kannst uns doch nicht so im Stich lassen.
    Lange nachdem Maria aufgewacht war, hörte sie sie noch jammern und betteln. Komm wieder zurück!
    Niemals, dachte Maria, lieber sterbe ich.
     
    Sie schlugen ihr Winterquartier in Würzburg auf, auf einer Wiese hinter der Festung. Maria mochte die Stadt nicht, weil sie sie an Vellberg erinnerte, obwohl es keinen vernünftigen Grund dafür gab. Es gab Fachwerkhäuser und eine Stadtmauer, schiefe alte Kirchen und Kopfsteinpflaster, aber das gab es in fast jeder Stadt, durch die sie bisher gekommen waren. Würzburg war so viel größer als Vellberg. Vielleicht lag es gar nicht an den Äußerlichkeiten, dass Maria sich an Vellberg erinnerte, vielleicht lag es eher daran, dass der Zirkus bis zum Frühjahr hier bleiben sollte. In dieser Stadt waren sie nicht auf der Durchfahrt, hier wohnten sie.
    Die Wiese, auf der sie ihre Zelte aufschlugen, war braun und nass. Widerstandslos ließen sich die Haken in den

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