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Zitronen im Mondschein

Zitronen im Mondschein

Titel: Zitronen im Mondschein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mayer Gina
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Madame Argent, die plötzlich neben Maria stand.
    «Wohin?«, fragte Maria.«Wohin gehen Sie?«
    «Wir«, sagte Madame Argent.
    Maria starrte sie verständnislos an.
    «Du wolltest fragen: Wohin gehen
wir
?«, verbesserte sie Madame Argent und lächelte.
     
    Sie zogen nach Crailsheim und Dinkelsbühl und Ellwangen und Nördlingen und von da aus weiter ins Fränkische, durch Dörfer und Städte, deren Namen Maria noch nie gehört hatte. An jedem Ort blieben sie ungefähr eine Woche, dann wurden die Zelte wieder abgebaut. Irgendwann fragte sie nicht einmal mehr nach, wie die Städte hießen.
    Es war nicht wichtig. Auch die Leute waren ohne Bedeutung, sie kamen, drängten an den Zelten vorbei zu den Käfigen, besuchten die Vorstellungen, gafften, applaudierten und ließen sich aus der Hand lesen. Maria hatte keine Zeit für sie und kein Interesse. Sie lebte jetzt im Zirkus Lombardi, sie gehörte zu den Agierenden, zu denen, auf die es ankam. Alles, was darüber hinausging, war Kulisse.
    «Was soll ich tun?«, hatte sie Madame Argent gefragt, als sie an jenem ersten Tag auf dem Bock des Zirkuswagens gesessen hatten. Schräg hinter verlor sich Vellberg in den Hügeln. Wenn Maria den Kopf zur Seite gedreht hätte, hätte sie die Stadtmauern noch sehen können, die Dächer der Fachwerkhäuser im Städtle und den Stadttorturm. Aber sie drehte den Kopf nicht, sie schaute nur geradeaus in die Richtung, in die sie fuhren.
    «Du wirst Nikolas zur Hand gehen«, sagte Madame Argent. «Ich selbst bin viel zu alt und hässlich, um als seine Gehilfin aufzutreten. Die Leute wollen jemanden wie dich sehen.«
    Maria stieß ein ungläubiges Lachen aus.«Aber ich kann nicht zaubern.«
    «Das musst du auch nicht«, sagte Madame Argent.«Kann ich etwa hellsehen?«
    Diese Antwort erstaunte Maria so sehr, dass sie schwieg, bis die Zirkuswagen durch das Crailsheimer Stadttor holperten, die Kartätschen herausgeholt wurden und die Clowns auf ihren Tröten zu blasen begannen.
    «Wo werde ich wohnen?«, fragte sie dann.
    «Bei mir einstweilen«, sagte Madame Argent.
    Sie lernte Meister Nikolas kennen, der vor vielen Jahren aus Ungarn gekommen war, ein Land, mit dem ihn nichts mehr verband außer sein rollendes R.
    Er zeigte keinerlei Regung, als man ihm Maria vorstellte, er schien weder erfreut noch enttäuscht oder gar verärgert, dass sie ihn künftig anstelle von Madame Argent unterstützen sollte. «Da müssen wir vor der Abendvorstellung tüchtig probieren«, meinte er nur. Maria wurde gleichzeitig heiß und kalt vor Schreck bei dem Gedanken, dass sie am selben Abend noch in die Manege treten sollte, aber Madame Argent winkte ab.«Für den Anfang will ich es lieber noch selbst übernehmen, bis die Nummern richtig sitzen.«
    Maria lernte nicht zu zaubern. Sie lernte zu verwirren. Wenn Meister Nikolas Karten in die weiten Ärmel seines Umhangs steckte oder Münzen in die unsichtbaren Taschen hinter den Aufschlägen oder wenn er das weiße Kaninchen in den doppelten Boden des Zylinders presste, dann warf sie Kusshändchen in die Menge, sie breitete ihre Arme weit aus und beugte sich gleichzeitig ein Stück nach vorn, so dass die Zuschauer auf allen Plätzen einen besonders guten Blick in den weiten Ausschnitt ihrer blauen Bluse hatten. Sie dehnte ihren Körper und reckte ihre Brüste, bevor sie in den sargähnlichen Kasten stieg, den Meister Nikolas auseinandersägen würde, sobald der Deckel über ihr geschlossen und mit einer großen Eisenkette gesichert worden war. Während sie hineinkletterte, ließ sie den weiten bunten Rock, den Madame Argent ihr gegeben hatte,über ihre Waden bis hoch über die Knie rutschen. Sie spürte die Blicke auf ihren Beinen, gierig die Männer, missbilligend die Frauen, fasziniert die Kinder, es machte ihr nichts aus, im Gegenteil.
    In der Dunkelheit des Kastens zog sie die Beine zur Brust, sie machte sich so klein, dass ihr ganzer Körper in die obere Hälfte des Kastens passte. Die untere Hälfte aber blieb leer, und wenn Meister Nikolas nun mit der Säge in die vorgegebenen Schlitze fuhr und dann die beiden Bretter in die Zwischenräume schob und die beiden Kastenteile auseinanderzog, so dass das Publikum vor Entsetzen raunte und stöhnte, lag sie in einem der beiden Kästen und hielt sich eng umschlungen.
    Die Leute liebten sie.«Sie brauchen mich gar nicht mehr, es genügt, wenn du dich in die Manege stellst und die Karten mischst«, spottete Nikolas, nachdem sie die ersten Male mit ihm aufgetreten

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