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Zitronen im Mondschein

Zitronen im Mondschein

Titel: Zitronen im Mondschein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mayer Gina
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konnte. Er führte sie zielstrebig zu einem kleinen Tisch am Fenster, sie wartete darauf, dass er ihr ausdem Mantel half, aber er hatte sich schon hingesetzt und studierte die Speisekarte. Also zog sie den Mantel selber aus und hängte ihn über eine Stuhllehne. Der Holzboden knirschte vor Schmutz, als sie den Stuhl zurückzog, um sich zu setzen.
    »Wie lange spielen Sie schon im Odeon?«, erkundigte sie sich.
    »Heute zum ersten Mal.«
    »Und? Sind Sie zufrieden?«
    »Ob ich zufrieden bin? Fragen Sie doch den Herrn Kinobetreiber, ob er mit mir zufrieden ist. Das ist die Frage, die interessiert.«
    »Ganz gewiss ist er das!«, rief Mira. »Sie hätten Ihren Vorgänger einmal hören sollen. Es war furchtbar.«
    Seine Mundwinkel wanderten noch ein Stück weiter nach oben. »Da bin ich aber erleichtert.«
    »Wenn Sie den ganzen Tag Stahl kochen und abends am Klavier sitzen – wie passt denn das zusammen?«, meinte sie.
    »Von der Musik allein kann man nicht leben, aber Sie haben recht, es verträgt sich nicht eben gut. Ich würde die Arbeit im Stahlwerk lieber heute als morgen aufgeben. Obwohl die Klimperei im Kino auch nicht unbedingt das Wahre ist. Und Sie?«
    »Ich bin Serviermädchen in der Rheinterrasse.«
    Er nickte versonnen. »Von irgendetwas muss man eben leben.«
    Diese Bemerkung kränkte sie, weil sie stolz auf ihre Arbeit war, jedenfalls war sie es bis jetzt gewesen.
    »Wo haben Sie so Klavierspielen gelernt?«
    »Als Kind hat mir ein Mann in der Nachbarschaft ein paar Dinge gezeigt. Den Rest habe ich mir selbst beigebracht.«
    »Aber das ist ganz erstaunlich.«
    Er winkte ab. »Es ist alles Stümperei. Zu den Filmen improvisiere ich, was mir eben in den Sinn kommt. Ich kann nicht einmal Noten lesen.«
    Er wirkte auf einmal so verächtlich, dass Mira nichts mehr zu sagen wagte.
    Dann kam die Kellnerin, und sie bestellten Mettwurst mit Brot und Altbier. Guben holte seine Zigaretten aus der Tascheund bot ihr eine an, sie lehnte ab und ärgerte sich über sich selbst, dass sie nicht rauchte.
    »Wie hat Ihnen der Film gefallen?«, fragte sie, nachdem sie ihm eine Weile dabei zugesehen hatte, wie er seinen Rauch gegen die schmutzige Fensterscheibe blies. Man konnte die Reflektionen ihrer Köpfe in der Scheibe sehen, über Gubens Kopf spiegelten sich die drei Glühbirnen, die über der Theke hingen.
    »Meisterhaft«, rief er. Er zog an seiner Zigarette, die rot aufglühte, in der Realität und in der Fensterscheibe noch einmal. »Dieser Murnau ist ein Teufelskerl. Seine Bilder, die Aufnahmen, das sind Kunstwerke. Die Geschichte selbst ist natürlich veraltet, konventionell. Faust, der Draufgänger, das unschuldige Gretchen und dann dieses abgedroschene Ende, davon muss man nicht reden.« Er zog wieder an seiner Zigarette und blies den Rauch aus Nase und Mund zugleich.
    Mira nickte und dachte betreten an die Tränen, die sie vergossen hatte, als Gretchens Kind gestorben war und man die unschuldige Mutter ins Gefängnis gesteckt hatte. An ihre Erschütterung über das abgedroschene Ende, wie Anselm es so verächtlich genannt hatte.
    »Die eine Szene, in der Faust und Mephisto auf dem Mantel zur Erde fliegen, wissen Sie, wie er das fabriziert hat?«
    »Wie denn?«
    »Die Kamera wurde an einer Feuerwehrleiter befestigt und an den Schauspielern vorbeigezogen. Haben Sie den Letzten Mann gesehen?«
    »Natürlich«, sagte Mira, die in den letzten Jahren kaum einen Film verpasst hatte.
    »Beeindruckend, nicht wahr? Und was die Handlung angeht, weitaus tiefsinniger als der Faust oder gar Nosferatu.«
    Mira nickte, weil sie nicht zugeben wollte, wie enttäuscht sie von Murnaus letztem Film gewesen war.
    »Erinnern Sie sich an die Szene, in der die Kamera dem Rauch einer Zigarette folgt? Die gleiche Technik. Man nennt es auch die fliegende Kamera.«
    Sie erinnerte sich nicht an die Szene, sie erinnerte sich nur noch daran, dass sie das Kino beinahe vor dem Ende der Vorstellung verlassen hätte, weil sie der Film so gelangweilt hatte. Im Unterschied zum Nosferatu fehlte beim Letzten Mann jeder Grusel. Aber das war wohl eine sehr oberflächliche Betrachtungsweise.
    »Der glückliche Ausgang war natürlich unglaubwürdig – aufgesetzt«, meinte Guben.
    Je länger sie ihm zuhörte, desto stärker wurde ihr bewusst, wie vollkommen anders er die Dinge betrachtete. Wenn sie einen Film sah, tauchte sie ein. Er aber wertete und verglich und lernte und verstand.
    »Woher wissen Sie denn all diese Dinge? Mit der fliegenden Kamera und

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