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Zitronen im Mondschein

Zitronen im Mondschein

Titel: Zitronen im Mondschein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mayer Gina
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Überzieher an der Garderobe hervor, dennoch fielen eine Pelzstola und ein Samtcape zu Boden.
    »Sie wollen schon gehen?«, fragte eine vertraute Stimme, als sie sich nach den Sachen bückte.
    »Otto.« Inzwischen brachte sie den Vornamen ohne Schwierigkeiten über die Lippen. »Ich dachte schon, Sie kommen nicht mehr.«
    »Ach. Und deshalb haben Sie die Lust verloren?« Er grinste sein freches Grinsen, aber auch daran hatte sie sich inzwischen gewöhnt.
    »Nein, ich will nach Hause. Es ist so viel zu voll hier.«
    »Kommen Sie! Sie sind doch noch keine achtzig Jahre alt.«
    »Es gefällt mir nicht«, sagte Mira achselzuckend. Dann stellte sie zu ihrem Entsetzen fest, dass ihr Tränen in die Augen stiegen. »Jedenfalls gehe ich jetzt«, sagte sie hastig, eine Hand schon auf der Türklinke.
    »Warten Sie!«, rief er. Aus dem Augenwinkel sah sie, wie er seinen Hut vom Brett an der Wand angelte. »Ich begleite Sie.«
    Sie stand schon in der offenen Tür, auf der einen Seite war es warm und stickig, auf der anderen Seite kalt. »Nein«, rief sie entsetzt. »Das geht doch nicht! Sie sind doch eben erst gekommen.«
    »Natürlich geht das«, sagte er. Dann standen sie beide draußen in der Dunkelheit, neben dem trapezförmigen Lichtfleck, der durch das Fenster der Glastür aufs Pflaster fiel. »Ich bringe Sie jetzt nach Hause«, meinte er, und der Satz klang inzwischenso vertraut, dass sie lächeln musste, auch wenn ihr gar nicht danach zu Mute war.
    »Also gut«, sagte sie.
     
    Vor einer Woche war die Gesolei zu Ende gegangen. Die Pavillons am Rhein wurden wieder abgebaut, die Ausstellung bildete sich sozusagen zurück, genauso schnell, wie sie im Frühling aufgebaut worden war. Jeden Tag verschwand ein Teil, zuerst der Vergnügungspark mit der Berg- und Talbahn und den Karussells, dann die langgestreckten Hallen. Nächste Woche wären die Musterhäuser an der Reihe und der Rote Kakadu. Sogar der Feuerwehrturm, an dem die Feuerwehrmänner ihre Einsätze geübt hatten, sollte angeblich wieder abgerissen werden, obwohl er doch so groß und stabil wirkte wie für die Ewigkeit gebaut. Die Gebäude verschwanden und ließen Asphaltflächen zurück, in deren Vertiefungen das Regenwasser den bleigrauen Herbsthimmel spiegelte. Dazwischen gelbliche Rasenstreifen und Flecken brauner Erde. Der Wind blies Planenfetzen und Abfall über das Brachland zum Rhein.
    Die Rheinhalle mit dem Planetarium, das Kunstmuseum und die Rheinterrasse wurden nicht abgerissen. Dennoch waren in der Rheinterrasse schon im September zwei Drittel der Serviermädchen entlassen worden, weil das Wetter kühler geworden war und auf der Sommerterrasse nicht mehr bedient werden konnte. Aber Mira hatte Herr Kiesemann glücklicherweise behalten. Sie arbeitete werktags von elf bis acht und sonntags von neun bis drei im Kuppelsaal. Nur donnerstags hatte sie frei, sofern keine der anderen Bedienungen ausfiel.
    Die Rheinterrasse bot Frühstück bis um elf, das war einzigartig, in allen anderen Restaurants bekam man nach zehn Uhr kein Morgengedeck mehr. Also war der Zulauf an Frühstücksgästen hoch. Auch Gudrun kam oft, trank Kaffee und aß ein belegtes Brot, manchmal bestellte sie auch Tee und einen Matjeshering, dann war es spät geworden. Aber heute erschien sie nicht. Vielleicht war sie doch gekränkt, weil Mira ihre Eröffnungsfeier so früh verlassen hatte.
    Mira zuckte die Schultern und gähnte gleichzeitig. Dabei sah sie ihr Gesicht als verzerrte Spiegelung in der Kuchenvitrine. Ein riesiger schwarzer Mund, darüber zwei schmale Augen. Erschrocken verbarg sie das Gähnen hinter der Hand. Sie war selbst erst spät eingeschlafen, obwohl sie so zeitig zu Hause gewesen war. Sie hatte so lange über Otto Franz nachgedacht, und wie sie es erreichen konnte, dass sich Gudrun für ihn interessierte. Gudrun war so fixiert auf ihren Modesalon, auf die reiche Kundschaft, die sie dafür gewinnen wollte. Und auf Pressmann. Wahrscheinlich, dachte Mira, hatte es nun auch gar keinen Sinn mehr, Otto und Gudrun zusammenzubringen. Gudrun hatte ihr Geschäft aufgemacht und war Pressmann damit ausgeliefert. Ohne sein Geld wäre sie sofort am Ende.
    Mira stellte Kaffeetassen, Zucker und Sahne auf ihr Tablett. Bevor sie es jedoch anhob, massierte sie sich einen Moment lang die Schläfen. Ihr Kopf dröhnte, aber das lag nicht an der Müdigkeit, es war dieser verdammte Kuppelsaal – der Rheingoldsaal, wie Kiesemann ihn nannte –, der ihr Kopfschmerzen bereitete. Seit sie hier

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