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Zitronen im Mondschein

Zitronen im Mondschein

Titel: Zitronen im Mondschein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mayer Gina
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solche Dinge?«
    »Oh, ich lese, was ich darüber in die Finger bekomme. Das Kino ist meine Leidenschaft, wie die Musik«, erklärte er, und wieder wanderten seine Mundwinkel ein Stück in die Höhe. »Und wie es mir scheint, geht es Ihnen genauso.«
    »Ja«, sagte Mira, auch sie lächelte, aber gleichzeitig schämte sie sich. Denn sie nutzte die Filme nur, um damit der Wirklichkeit zu entfliehen, er aber entwickelte sich weiter mit jedem Film, den er sah. Und so wollte sie es in Zukunft auch machen, beschloss sie in diesem Moment.
    Sie redeten noch über viele weitere Filme, die sie gesehen hatten. Panzerkreuzer Potemkin war sein Lieblingsfilm. Ausgerechnet diesen Film hatte Mira verpasst. Als er Ende Mai ins Kino gekommen war, hatte sie gerade ihre Arbeit in der Rheinterrasse begonnen und war nicht hingegangen. Einige Woche später hatte man ihn verboten. »Und jetzt kann man den Film wieder sehen, aber zensiert«, sagte Guben. »Über hundert Meter soll man aus den Filmstreifen herausgeschnitten haben. Sie müssen ihn sich aber dennoch anschauen, wenn sich Ihnen die Gelegenheit dazu bietet.«
    Mira nickte heftig. Mit einem Mal begann sie vieles zu verstehen, worüber sie sich zuvor nie Gedanken gemacht hatte. Dass es Filme mit einer klaren Botschaft gab und Filme, dieeinfach nur unterhielten, und Filme, die das eine mit dem anderen verbanden. Und das waren die grandiosen Filme, fand Guben – Anselm, wie sie ihn in Gedanken bereits nannte.
    »Wie kommen Sie so schnell auf die Melodien?«, fragte sie ihn. »Sehen Sie sich die Filme vorher einmal an, oder kommt es einfach so aus Ihnen heraus?«
    Er schob seinen Teller von sich und zündete sich eine neue Zigarette an. »Sicher sehe ich sie mir an und überlege mir, was ich dazu spielen werde. Aber es ist natürlich nichts als Stümperei, was ich darbiete. Für einen Faust mag es reichen, aber nicht für etwas Größeres.«
    Er trank vier Bier und sie drei. Als sie das Lokal verließen, reichte er ihr seinen Arm. Sie legte ihren Unterarm auf seinen Unterarm, der sich sehr stark und kraftvoll anfühlte, obwohl man das durch die dicke Jacke hindurch gar nicht spüren konnte.
    »Wo wohnen Sie denn?«, fragte er sie. Ein leiser Nieselregen wusch den Zigarettenrauch von ihren Gesichtern.
    »Am evangelischen Hospital. Ich nehme ein Taxi.«
    Er brachte sie zum Droschkenstand und öffnete die Wagentür für sie. »Sehen wir uns wieder?«, fragte er.
    »Gerne«, sagte sie. »Sicher.«
    Als sie allein auf der Rückbank der Droschke saß, schloss sie die Augen. Ihr war ein bisschen schwindlig von dem Bier, aber es war ein angenehmes Gefühl, wie auf einem sehr gemächlichen Karussell. Aus irgendeinem Grund musste sie plötzlich an den Herrn mit dem Skizzenbuch denken und an das Rezept, das er ihr vorgelesen hatte. Zitronen im Mondschein.
    Als sie die Augen wieder öffnete, sah sie, dass Guben immer noch am Droschkenplatz stand und ihr nachblickte. »Würden Sie mit mir im Mondschein zu Abend essen, Herr Guben?«, fragte sie, während das Taxi um eine Straßenecke bog.
    »Wie bitte?« Der Droschkenfahrer drehte sich irritiert zu ihr um.
    »Nichts.« Mira schüttelte den Kopf über sich selbst. Wie kam sie nur auf einen solchen Blödsinn? Dabei schien heute Nacht nicht einmal der Mond.

II.
    Der Herr, der die Zitrone und den Mond gezeichnet hatte, kam jetzt jeden Tag in die Rheinterrasse. Er erschien immer am späten Vormittag, gegen elf, in der ruhigen Zeit nach dem Frühstück und vor dem Mittagessen. Er trank Kaffee, Mira brachte das Kännchen inzwischen schon automatisch, und zeichnete dabei in sein Skizzenbuch, etwa eine Stunde lang. Dann legte er sein Geld auf den Tisch, fünfundzwanzig Pfennige für den Kaffee, fünf für die Bedienung, und verschwand.
    »Dafür, dass er nichts verzehrt, blockiert er den Tisch ziemlich lange«, sagte Elsbeth, die die Tische auf der anderen Seite bediente.
    »Nun lass ihn doch, um diese Zeit ist doch nichts los.«
    Im Vorübergehen warf Mira immer wieder einen verstohlenen Blick in das Skizzenbuch. Es waren so seltsame Zeichnungen. Schweineköpfe, die mit schmalen Augen aus dampfenden Kesseln blinzelten. Geflügelte Brote. Ein gekreuzigtes Huhn. Er zeichnete die Dinge mit großer Akribie und Sorgfalt, jedes Härchen, jede Feder war zu erkennen. Zwischen den Zeichnungen klebten Bilder, Zeitungsausschnitte, ein Teil einer Zigarettenschachtel, buntes Papier. Darum herum kritzelte er in seiner kleinen, scharfen Schrift Worte und Sätze, die er

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