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Zitronentagetes

Zitronentagetes

Titel: Zitronentagetes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Britta Orlowski
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alten Werkstatt auf dem Hof, das hieß jedoch nicht, dass er Zeit fand, um ins Haus zu kommen. Sich auch um sie zu kümmern, wie es sich für einen anständigen Sohn gehörte. Die vertraute Sehnsucht stieg wieder auf. Nach einem Ort der Stille, der Wärme, des Friedens, des Lichts. Manche Leute nannten ihn Himmelreich, andere das Paradies. Für Megan war es ein Hort. Dort, wo die heilige Maria Muttergottes alle verletzten Kinder aufnahm, um sie zu trösten, zu halten. Sie hatte diesen Ort bereits flüchtig gestreift und erinnerte sich noch klar daran, wie über die Maßen gut es ihr dort gegangen war. Die Zeit schien gekommen. Im Moment spürte sie nur Leere, schwarz und abgrundtief. Megan konnte es nicht länger ertragen. Etwas anderes musste her. Sie schaltete das Bügeleisen ein und wartete, bis das Lämpchen erlosch. Dann drückte sie entschlossen auf den viereckigen Knopf. Der heiße Dampf traf auf ihre linke Hand. Keuchend taumelte sie zur Seite. Endlich konnte sie sich auf etwas anderes konzentrieren als auf Einsamkeit und Leere. Sie hielt ihre verletzte Hand unter den kalten Wasserstrahl.
     
    *
     
    Bill McNamarra hatte sein Bestes getan, um einen Aufschub des Prozesses herauszuschinden. Nun stand der Termin: die letzte Novemberwoche. Marcs erster Instinkt nach dem Telefonat mit seinem Anwalt war Flucht. Er hatte immer schon einen Hang dazu gehabt, Schwierigkeiten aus dem Weg zu gehen, gestand er sich ein. Da war es kein Wunder, wenn er am liebsten seine Sachen gepackt, Flo geschnappt und mit ihr gemeinsam nach Aspen geflogen wäre, in den Winterurlaub. Aspen war weit genug von St. Elwine entfernt und dort hatte er auch wieder neuen Mut gefunden. Die alte Bergarbeiterstadt am Independent Pass hatte ihren ganz eigenen Zauber. Dazu gehörte im Wesentlichen ihr Wild West Charme, aber auch das Zentrum mit seinem viktorianischen Ambiente, das eine Atmosphäre der guten alten Zeit, des 19. Jahrhunderts, verströmte. Die Luft im zweitausendvierhundert Meter hoch liegenden Ort war klar und vor allem dünn. Die Stadt war auf drei Seiten malerisch von Bergen umgeben. Dem Aspen Mountain, einem herrlichen Skigebiet im Süden, dem Red Mountain im Norden und dem Smuggler Mountain im Osten.
    Allein, dass Marc Flo mitnehmen wollte, war schon bezeichnend. Was bedeutete sie ihm? Viel, sehr viel, tausendmal mehr, als ihm lieb war. Immer öfter stellte er sich vor, sie zu entkleiden, ihre Brüste zu streicheln und in sie einzutauchen. Beim Sex konnte man so schön vergessen. Den nahenden Prozess, die groteske Situation mit seinen Eltern, sein verlorenes Bein. Scheiße! Aber genau dieses Beines wegen konnte er keinen Sex haben. Oder verbot ihn sich, zumindest mit Flo. Seufzend blickte er auf die Uhr. Noch drei Stunden bis zum Feierabend und es war jetzt bereits stockfinster. Er sollte sich besser auf seine Arbeit konzentrieren, aber Bills Anruf verursachte nach wie vor ein flaues Gefühl in seinem Magen. Es sähe gar nicht mal so schlecht aus, mit dem, was sie zusammengetragen hatten, meinte der Anwalt. Eine vorsichtige Prognose hatte er jedoch nicht abgeben wollen. Dabei fand Marc Zahlen tröstlich. Er schätzte ihre klare Eindeutigkeit. Da gab es keine spekulativen Möglichkeiten. Eins plus eins war zwei und basta. Das Ergebnis blieb so, egal, von welcher Seite aus man die Rechenaufgabe betrachtete. Er zwang sich, in eine andere Richtung zu denken. An seinen Vater beispielsweise, der seit drei Wochen im Schwedenhäuschen im Garten der Svensons wohnte. Erstaunlich war, dass der Vorschlag von Bertha, der ehemaligen Haushälterin des alten Zahnarztes, gekommen war. Flo hatte ihn sogleich aufgegriffen und Charly um Erlaubnis gefragt. Diese hatte eingewilligt. Marc erinnerte sich noch genau an das Gespräch, das er an jenem Abend, als George aufgekreuzt war, mit ihm geführt hatte.
    Nach dem frühmorgendlichen Telefonat mit Marc und einem Nickerchen, das fast den ganzen Tag lang gewährt hatte, konnte er nicht anders. Er musste Rosie sehen und sich mit eigenen Augen davon überzeugen, dass es seiner Tochter gut ging. Leider kam ein langes Gespräch mit seinem früheren Anwalt dazwischen. George sah sich nicht in der Lage, diesen abzuwimmeln, vor allem nicht, nachdem er mehrere Male erfolglos versucht hatte, ihn zu erreichen. Um Mr. X auf die Schliche zu kommen, war es wichtig, dass er noch einmal die Ereignisse von damals rekonstruierte. Stets in der Hoffnung, auf etwas bisher Unbeachtetes zu stoßen. Bis jetzt tappte er in diesem

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