Zitronentagetes
nicht wichtig wäre, hätte Marc bestimmt nicht mehrere Male versucht … beunruhigt stellte er eine Verbindung her.
»Bist du verrückt? Es ist sechs Uhr morgens. Was willst du?«, knurrte sein Sohn.
»Das frage ich dich. Du hast mehrmals versucht, mich zu erreichen.«
»Das fällt dir ja reichlich früh auf.«
»Entschuldige, ich war beschäftigt. Ich habe die ganze Nacht … lassen wir das .«
»Es ging um Rosie.«
»Ist etwas passiert?« George hörte, dass seine Stimme erschrocken klang. Wenn es etwas gab, worum man seinen Sohn nicht bitten musste, dann waren das nähere Erklärungen. Er knallte sie einem direkt um die Ohren. George lauschte und sank förmlich in sich zusammen. In die darauffolgende Erleichterung mischte sich kalte Wut. Mister X, dieser Scheißkerl, wollte ihn mürbemachen. Bekäme er ihn erst in die Finger, würde er ihn zertreten, diese elende Laus. »Wie geht es Jenny?«
»Sie hat nicht viel gesagt, aber man konnte ihr ansehen, dass sie nicht gut auf dich zu sprechen ist. Wenn du mich fragst, solltest du dich schleunigst nach Hause bewegen.«
»Wirklich amüsant, wie du dich um meine Ehe sorgst.«
»Du machst alles kaputt, Dad, wenn du so weitermachst. Wo steckst du?«
»Ich muss etwas klären, das habe ich doch schon gesagt.«
»Ist diese Angelegenheit so wichtig, dass du dafür alles aufs Spiel setzt? Rosie hat im Kaufhaus geglaubt, dich zu sehen. Deshalb ist sie losmarschiert. Sie vermisst dich.«
»O Gott.« George fuhr sich durch das Haar.
»Warst du da?«
»Natürlich nicht.«
»Bist du dir ganz sicher?«
»Was willst du damit andeuten?«
»Sag du’s mir.«
»So nicht. Ich kenne dich. Du reimst dir irgendetwas zusammen.«
»Wenn du das so genau weißt, muss dir klar sein, dass ich vor ein paar Jahren schon einmal von solchen Hirngespinsten heimgesucht wurde. Wie sich herausstellte, war die Wahrheit schlimmer, als ich es mir je hätte ausdenken können.«
»Wirst du mir denn niemals vergeben, Marc?«
»Dad, darum geht es nicht. Ich habe dir vergeben, schon seit einiger Zeit, wirklich.«
Etwas wie Hoffnung flammte in George auf. Vielleicht würde doch noch alles gut werden.
»Was ist los?«
»Ich kann es dir nicht sagen – noch nicht.«
»Warum bist du so stur? Kann ich dir bei dieser Sache irgendwie helfen?«
»Nein, mein Junge.« George sagte es nicht, wie so oft, ironisch.
»Dad, mit den Mitgliedern unserer Familie stimmt etwas nicht. Wir schleichen immer um ein großes Thema herum, ohne dass es irgendwer jemals richtig ausspricht. Was ist es?«
Er drehte sich um, als ob sein Sohn hinter ihm stünde. »Ich weiß es nicht.« Das war nicht mal gelogen.
»Ich habe die Nase voll. Wenn du nicht willst, bitte schön. Dann lass es. Aber ich bin draußen. Lass mich einfach in Ruhe, okay?«
»Warte Marc, warte. Ich habe mich mit Rafe Masterson unterhalten. Du hast recht. Es ist an der Zeit, dass wir miteinander reden.«
*
Ihre Rostlaube würde bald restlos den Geist aufgeben, darüber war sich Flo im Klaren. Daher schonte sie das Vehikel, so gut es ging. Bertha hatte ihr Emma Svensons altes Damenfahrrad überlassen. Der Omasattel und der breite Lenker entsprachen zwar nicht mehr dem Zeitgeist, aber dafür saß man während des Radelns bequem. Sie schob das gute Stück in den Schuppen und ging in ihre Wohnung hinauf. Auf dem Wohnzimmertisch lag ein weiterer Kalenderquilt, an dem sie gestern Abend noch die Schlaufen per Hand angenäht hatte. Es handelte sich um einen Miniatur-Blockhausquilt aus blau-silbernen Stoffen. Statt des üblichen roten Quadrates, das ein Herdfeuer symbolisieren sollte, befand sich in der Mitte ein verschneites Häuschen mit rauchendem Schornstein. Bevor Flo ihn in die Schachtel zu den anderen legte, fuhr sie noch einmal zärtlich mit dem Finger darüber. Vicky tat ihr bestimmt den Gefallen und fotografierte ihre kleinen Kostbarkeiten. Dann konnte sie die Bilder ihrer Mutter schicken. Sie hatte damit begonnen, in den Briefen nach Deutschland mehr und mehr von sich preiszugeben. Es wurde Zeit, die Sache in Angriff zu nehmen.
Das Haustelefon läutete. Kurz darauf rief Bertha sie herbei. Ihre ältere Freundin sah sie erwartungsvoll an, sagte jedoch kein Wort. Flo schnappte sich den Hörer. »Ja … verstehe … hm … wirklich … o gut … ja … vielen Dank.«
Bertha spitzte die Ohren. Zwar räumte sie den Spülautomaten leer, ließ Floriane dabei aber nicht aus den Augen.
»Sag bloß noch mal, du wärst nicht
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