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Zoë

Titel: Zoë Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Carmichael
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zumindest wusste niemand davon. Als ich jetzt seinen Namen hörte, wurde er zum ersten Mal so etwas wie ein Mensch aus Fleisch und Blut für mich.
    Und das alles hat Ray dir ganz umsonst erzählt? , hätte ich fast gefragt, aber ich schluckte den Satz schnell runter. Ray tat nieirgendetwas umsonst. Stattdessen fragte ich: »Warst du heute im Krankenhaus, zum Bezahlen?«
    »Ja, und anschließend bei meinem Anwalt, um Papierkram zu erledigen. Deshalb hat es auch so lange gedauert.«
    Ich dachte an all die Krankenhäuser, in denen Mama gewesen war, alle mehr oder weniger wie Rose Hill. Verschlossene Türen und Fenster, Flure, die nach Zigarettenrauch oder Pisse stanken, und immer schrie irgendwo jemand. Konnte irgendwer da gesund werden? Ich war froh, dass Henry allein gefahren war. Nie wieder wollte ich so einen Ort sehen.
    »Die Angelegenheiten deiner Mutter waren …« Er schien nach einem milderen Ausdruck zu suchen als dem, den ich in seinen Augen las. »… kompliziert«, sagte er schließlich.
    »Ich dachte …«
    »Was?«
    »Nichts.« Mich alleinzulassen war ihm nicht in den Sinn gekommen. Jedenfalls nicht heute.
    Aber er wusste, was ich gemeint hatte, auch ohne dass ich es aussprach. »Ich lasse dich nicht im Stich, Zoë, nicht willentlich jedenfalls. Einige der Dokumente, die ich heute –« Er warf einen Blick auf den Wecker auf seinem Nachttisch, es war schon nach eins. »Einige der Dokumente, die ich gestern unterschrieben habe, regeln den Fall, dass mir je etwas zustoßen sollte, unwillentlich. Sie stellen sicher, dass in so einem Fall alles dir gehört. Alles. Dieses Haus, das Land, alle noch nicht verkauften Arbeiten. Susan erhält nur so lange Unterhalt von mir, wie ich lebe.«
    Ich nickte leicht und sah in Henrys müde graue Augen. Ich wollte ihm glauben, aber ich hatte schon zu vielen Versprechungen von Erwachsenen geglaubt, und alle waren gebrochen worden. Was Erwachsene sagten und was sie dann tatsächlich taten, das deckte sich nie, nicht einmal annähernd. Ich versuchte, michzu freuen über alles, was Henry gemacht hatte, aber ich wusste, am Ende würde er seine Meinung doch ändern, dann würde er sich absetzen, würde abhauen wie all die anderen.
    »Ich bin dir wirklich dankbar für alles, was du getan hast, für das viele Geld, das du bezahlt hast.«
    Er seufzte. »Ich wollte keine Dankbarkeit von dir«, sagte er. »Ich habe nur versucht –«
    Das Telefon schrillte wie eine gellende Stimme. Zorn flackerte in Henrys Augen auf, und er schien ganz zu vergessen, dass ich dastand. Er nahm den Hörer ab und hielt ihn weit weg von seinem Ohr. Eine wütende weibliche Stimme kreischte: »Wie kannst du es wagen, einfach aufzulegen, du elender –« Henry knallte den Hörer wieder auf die Gabel, wickelte sich das Kabel zweimal um die Hand und riss das Mistding mit einem Ruck aus der Wand.
    Einfach so.
    Ich muss wohl ziemlich erschrocken geguckt haben, denn er sah die abgerissene Schnur an und schien auf einmal verlegen. »Entschuldigung«, sagte er. »Wo waren wir stehen geblieben?«
    »Nicht so wichtig«, sagte ich und ging Richtung Treppe, damit mein gläsernes Gesicht ihm nicht verriet, was ich sonst noch dachte: Wenn er bei ihr einfach den Hörer aufknallte, warum dann nicht auch bei mir? »Nacht, Onkel Henry.«
    »Träum was Schönes, Zo’.«
    »Ja«, flüsterte ich. »Ich geb mir Mühe.«
     

4
    Habe ich noch einen letzten Wunsch frei?«
    Henry lehnte sich in seinen Kapitänsstuhl am Esstisch zurück und trank langsam seinen Kaffee. Die Füße hatte er auf den Stuhl daneben gelegt. »Du musst zur Schule gehen.«
    Ich antwortete nicht, sondern stocherte mit der Gabel in meinem Essen herum. Ich hatte noch nichts davon angerührt, denn ich hatte beschlossen, in den Hungerstreik zu gehen, und das, obwohl Fred Hackbraten mit Sahnekartoffeln und Buttererbsen gemacht hatte. Normalerweise hätte ich alles bis auf den letzten Bissen verputzt.
    »Hast du mich gehört?«
    »Ich bin nicht taub«, sagte ich. »Und auch nicht stumm.«
    »Das hat niemand behauptet.«
    »Dann seh ich keinen Grund, wieso ich gehen muss. Bei diesen Tests hab ich besser abgeschnitten als alle anderen vor mir, das hat die Beraterin gesagt. Meine Ergebnisse waren so gut wie die von denen, die schon zur Highschool gehen.«
    »In manchen Teilen, in anderen nicht.«
    »Ich musste noch nie zur Schule gehen. Ich hab immer alleine gelernt, und das ging gut. Das kann ich hier genauso machen. Du kannst es ja nachprüfen.«
    »Für mich ist

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