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Zoë

Titel: Zoë Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Carmichael
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nicht.«
    »Nein?«
    Ich schüttelte den Kopf. »Mama fand, ich sei der größte Sturkopf, der ihr je begegnet sei.«
    »Und – stimmt das?«, fragte er, um von sich abzulenken.
    »Ich kann ganz schön jähzornig sein.«
    »Willkommen bei den Roysters.«
    »Und welche deiner Frauen war das jetzt am Telefon?«
    »Susan. Die Nummer zwei. Die Frau, von der ich dachte, ich sollte sie heiraten. Schön, klug, eine Frau, von der man denkt, sie ist der Weg zum Erfolg. In diesem Fall war es der direkte Weg in die Hölle.«
    »Und Nummer eins? Was ist aus der geworden?«
    »Wer weiß? Sie hat die Abfindung kassiert und ist auf und davon.«
    »Und Nummer drei?«
    Seine Stimme wurde weicher. »Krebs«, flüsterte er, und sein Ton machte mir klar, dass er darüber hinaus nichts zu dem Thema sagen würde.
    »Tut mir leid.« Ich schämte mich, dass ich das Thema aufgebracht hatte. »Irgendwelche Kinder?«
    »Du bist das erste.«
    Die Antwort war eine Überraschung, ob eine gute oder eine schlechte, das wusste ich noch nicht. Henrys Kind – darüber musste ich erst mal nachdenken. Ich ging ein Stück näher heran, um zu sehen, was er las. »Worum geht’s in dem Buch?«
    Er drehte das Buch um und schob es auf den Bettrand, damit ich den Umschlag ansehen konnte. Eine alte Dame, verschrumpelt wie eine Pflaume und ganz in Schwarz, starrte mir ins Gesicht. Auf der Rückseite war ein niedriges Haus in einer weiten Wüstenlandschaft zu sehen. Ich betrachtete das Gesicht der Frau aufmerksam: Es war alt, aber voller Kraft, und der Blick war durchdringend.
    »Georgia O’Keeffe«, sagte Henry. »Sie lebte in der Wüste von Neu-Mexiko. Sie konnte auch sehr aufbrausend sein.«
    Ich blätterte in dem Buch und sah farbige Abbildungen von Gemälden – Wüstenlandschaften, große Blumen, Kirchen, Tierköpfe – und noch mehr Fotos, die ihr Haus zeigten und das Land ringsherum, die Ghost Ranch , wie die Bildunterschrift sagte. Es war eine weite, friedliche Landschaft, eine Gegend, in die ich vielleicht gern einmal reisen würde.
    »Dein Zimmer gefällt mir«, sagte ich.
    »Fred hat erzählt, dass du dich schon hier umgesehen hast.«
    »Er hat gesagt, ich sei neugierig.«
    »Neugier ist eine gute Eigenschaft.«
    »Finde ich auch!«
    »Fred wollte dich nur auf den Arm nehmen. Dies ist jetzt auch dein Heim, Zoë. Fühl dich ganz zu Hause. Und sieh dir alles an, was du magst.«
    »Ich darf deine Bücher lesen?«
    »Natürlich.«
    »Gut«, sagte ich und sah von den Bildern auf, »ich hab mir nämlich schon eins geborgt. Über einen Japaner, der Katzen zeichnete.«
    Er überlegte einen Moment, dann nickte er, so als wäre es ihm wieder eingefallen. »Eine gute Geschichte«, sagte er. »Und eine wahre.«
    »Sie ist wirklich passiert?«
    »In einem anderen Sinne wahr«, sagte Henry und deutete auf sein Herz. »Wahr hier.«
    Ich sagte ihm nicht, dass ich das Buch noch nicht gelesen hatte.
    »Bücher machen es einem so viel leichter als Menschen«, sagte er mit einem Blick auf die vielen Bände in seinem Zimmer.
    Der Meinung war ich immer schon gewesen, aber mir war noch nie jemand begegnet, dem es genauso ging.
    Ich griff in die Tasche an meinem T-Shirt, zog den Zehner und die zwei Zwanziger heraus, die er mir abends gegeben hatte, und legte sie aufs Bett. »Kleiner Beitrag zu Mamas Rechnung.«
    »Versteh ich nicht.«
    »Ich hab dein Scheckbuch gesehen. Ich weiß, dass du die Rechnung bezahlt hast. Fünftausendvierhundertfünfzig Dollar, jetzt noch genau fünftausendvierhundert. Es wird eine Weile dauern, aber ich zahl dir alles zurück.«
    »Du hast tatsächlich rumgeschnüffelt, wie?«, fragte Henry. Er nahm die Geldscheine, faltete sie und steckte sie mir wieder in die Tasche. »Sagen wir so: Dass ich die Rechnung bezahlt habe, erleichtert mein Gewissen ein bisschen, wenn ich an all die Jahre denke, in denen ich nichts von deinen Eltern und dir wusste.«
    »Wie hast du es denn dann rausgefunden? Das mit mir, meine ich?«
    »Eines Tages stand ein Mann vor der Tür und hat es mir erzählt. Das war Ray, der Freund deiner Mutter.«
    Ich zog eine Grimasse.
    Henry sprach weiter. »Er wusste von Owen, deinem Vater. Deine Mutter hatte von ihm erzählt, auch, dass du Owens Kind bist. Den Rest hat er sich selbst zusammengereimt, und so hat er mich ausfindig gemacht.«
    Noch nie hatte ich jemanden den Namen meines Vaters aussprechen hören. Sonst hatte er immer nur »dein Vater« oder »der Halbbruder deines Onkels« geheißen. Es gab auch keine Bilder von ihm,

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