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Zoë

Titel: Zoë Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Carmichael
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kennenlernte, war ich heilfroh, dass ich Einzelkind war.
    Lillian und Sid hatten ein weißes Hündchen dabei mit einer so peinlichen Frisur, einem Krönchen, dass es sich geschämt haben muss. Dieser Hund verschwand als Erstes unterm Haus und stürzte sich auf den Kater. Es gab ein Geheule und Gejaule, einen Kampf mit Zähnen und Klauen, aber ohne Wertung. Anschließend kam der Hund winselnd heraus und versteckte sich unter Freds Pick-up, wo er herumjammerte und seine nagelneue Gesichtstätowierung pflegte. Der Kater zischte, ohne sich um das Wetter zu kümmern, in Richtung Kirche ab. Ich war wirklich sauer, dass er mich nicht mitnahm.
    Fred hat Lillian sechsmal gebeten, ihre kleinen schwarzen Zigaretten nicht im Haus zu rauchen, aber sie hat sich trotzdem immer wieder eine angezündet und die Asche in die offene Hand geschnippt. »Wofür zum Teufel hält die sich eigentlich?«, meckerte er. Danach fluchte er noch eine Weile unflätig vor sich hin, aber so leise, dass man es kaum hörte.
    Lillian war dürr wie eine Bohnenstange und von Kopf bis Fuß schwarz gekleidet. Sie hatte lange, rot lackierte Fingernägel und trug die schwarz gefärbten Haare so straff aus dem Gesicht gebunden, dass es weh tun musste. Sie hatte eine so herrische Art zu reden, dass ich Lust bekam, sie in ihr teigig weißes Gesicht zu schlagen. Sid, der hinter seiner Sonnenbrille Lichtjahre entfernt zu sein schien, gab ihr in allem recht, egal, was sie sagte.
    Sie nannte jeden »Schätzchen«, aber als sie einmal mit Sidsprach, hörte ich, wie sie mich »diese durchgeknallte Göre« nannte. Als ich das Fred erzählte, gebrauchte er einen Ausdruck für Lillian, den ich lieber nicht aufschreibe. Er wollte es ihr auch ins Gesicht sagen, aber das konnte ich ihm gerade noch ausreden. »Was kümmert es die dicke Eiche, wenn ein Schwein sich an ihr kratzt? Oder wie Manny immer sagte: ›Rache ist süß, Zuckerpüppchen.‹«
    Am meisten litt Henry unter Lillians Anwesenheit. Wie eine schwarze Wolke verfolgte sie ihn, sie hing an seinen Lippen.
    »Künstler sind Götter«, erklärte sie mir. »Und Henry Royster ist der moderne Zeus. Ich bete an seinem Altar.« Das hat sie allen Ernstes so gesagt, ich schwöre.
    »Wie bitte?«, sagte ich und verdrehte die Augen. Nicht, dass Lillian so etwas bemerkt hätte. Sie sah Menschen nie ins Gesicht, wenn sie mit ihnen sprach.
    »Zeus, Schätzchen«, sagte sie, als wäre ich blöd. »Der höchste aller römischen Götter.«
    Offenbar konnte sie nicht Griechen von Römern unterscheiden, aber ich hatte keine Lust, sie aufzuklären. Als sie irgendwann später Henry in seinem Atelier heimsuchte, kam Sid, der Spinner, auf der Suche nach dem Bad nach oben und blieb anschließend in meiner Tür stehen.
    Ich blickte von meinem Referat auf. »Fertig gebetet an Henrys Altar?«
    Sid schnaubte verächtlich. »Ich versteh vielleicht nichts von Kunst, Kleine, aber ich hab ’nen Riecher dafür, wo’s was zu holen gibt, und den solltest du dir auch zulegen.« Er zündete sich eine seiner Spezialzigaretten an, inhalierte tief und blies dann den Rauch in meine Richtung aus, so wie Ray das immer gemacht hatte. Er zeigte durchs Fenster auf die Skulpturen draußen. »Wir beide gucken raus und sehen einen Haufen Schrott. Siesieht Kunst im Wert von einer Million Dollar. Rate mal, wer recht hat.«
    Es passte mir überhaupt nicht, dass Sid glaubte, meine Gedanken zu kennen. »Wer denn wir ? Wohl ’nen kleinen Mann im Ohr, wie?«
    Sid grinste bloß und wankte nach unten. Sobald er aus dem Haus war, rutschte ich das Treppengeländer hinunter und schloss mich im Arbeitszimmer ein – dem einzigen Raum im Haus mit einem Riegel an der Tür –, um die Artikel über Henry in verschiedenen Kunstzeitschriften zu lesen. Die waren nun wirklich nicht in normalem Englisch geschrieben und hörten sich sehr nach Lillian an. In einem war die Rede davon, wie Henry zum Künstler geworden sei (»durch die Tragödie seines Lebens«) und wie er sich entwickelt habe (in »inspirierter Isolation«, was immer das sein soll). Ein anderer beschrieb sein Werk als »monumental, elementar und meisterhaft« und Henry selbst als »einen der großen lebenden Künstler dieses und des nächsten Jahrhunderts«. Was für ein Gefasel!
    Am verständlichsten war der Artikel in der Zeitschrift mit dem Foto von dem brummigen Henry auf dem Titel. Darin stand, dass er in zwei Berufen erfolgreich war, als Bildhauer und als Herzspezialist, bis er die Medizin aufgab, um nur noch

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