Zoë
seine Skulpturen zu machen. Doch nach dem Tod seiner Frau Amanda, die an Krebs gestorben sei, schien er von der Erdoberfläche verschwunden. Die Kunstwelt habe weder gewusst, wo er war, noch, was er machte, und nach ein paar Jahren hielten die meisten Menschen ihn ebenfalls für tot.
Als Fred vom Einkaufen zurückkam, leistete ich ihm in der Küche Gesellschaft, während er den Braten mit dem Fleischklopfer bearbeitete, damit er zart wurde. Bei jedem Hieb stelle er sich vor, es sei Lillians Hintern, sagte er. Ich musste lachen. Dann fragte ich Fred nach den Artikeln.
»Kunstdünger«, sagte Fred. »Das ist jedenfalls Henrys Ausdruck für diesen Mist.«
Ich grinste. »Das ist also alles nicht wahr?«, fragte ich.
»Doch, auf gewisse Weise ist es schon wahr. Eine hochgestochene Version der Wahrheit, viel heiße Luft. Ich würde nicht wollen, dass solche Leute über mein Leben schreiben.«
»Henry ist schrecklich schlecht drauf heute«, bemerkte ich.
»Das liegt an diesen Blutsaugern aus New York.«
»Wieso redet er dann überhaupt mit denen?«
»Weil er davon lebt. Früher hatte er einen Vertrag mit dem Vater der beiden, aber jetzt mit Lillian und Sid. Henry hat sich verpflichtet, der Kunstgalerie bis Jahresende fünfzehn Stücke für eine Ausstellung zu liefern, und sie lassen ihn nicht raus aus dem Vertrag.«
»Aber das sind ja keine zwei Monate mehr!«, sagte ich.
»Eben. Und wenn Henry nicht liefert, sagt Lillian, dann verklagt sie ihn. Sie will durch Henry zu Geld kommen, so oder so.«
Henry tat mir leid. Ich habe schon immer eine Gänsehaut bekommen, wenn jemand so tat, als wäre ich eine Marionette an Fäden. Mama machte das gern. Wenn sie mich nicht beschwatzen konnte, damit ich tat, was sie wollte, dann beschimpfte sie mich als widerspenstig und dumm und kein bisschen hübsch; ich würde jedes Mal gehen, wenn ich rennen sollte, und stocksteif dastehen, wenn ich gehen sollte – alles nur aus Trotz. Vermutlich hatte sie sogar recht damit. Sie hat oft die Geschichte erzählt, wie wir einmal über eine vielbefahrene Straße mussten und sie mich an die Hand nehmen wollte. Damals war ich drei. »Gib mir deine Hand!«, hat sie mich angeblafft, und ich habe zurückgeblafft: »Nein, das ist meine!«
Als die Kunst-Geier gegen drei endlich davonflogen, ging Fred nach Hause zu Bessie, und Henry stampfte in seine Werkstatt.Gleich darauf sprang der Winkelschleifer an. Jetzt musste er erst einmal allein sein und diesen Überfall von Lillian und Sid verdauen. Der Regen hatte so weit nachgelassen, dass ich das Gleiche tun konnte, Erkältung hin oder her. Ich zog Stiefel und Jacke an und ein Regencape darüber und machte mich auf den Weg zur Hütte.
Aber bis ich dort ankam, hatte es wieder angefangen zu regnen und zu stürmen. Ich machte gar nicht erst den Versuch, ein Feuer in Gang zu bekommen. Der Wind heulte im Kamin und trieb Asche und Regen über den ganzen Fußboden. Der Holzhaufen vor der Hütte war klatschnass. Ich ließ den Mantel an und saß bibbernd am Tisch, während ich versuchte, das, was an diesem Tag passiert war, in meinem Tagebuch festzuhalten. Aber von der Feuchtigkeit wellten sich die Seiten, meine Schreibhand wurde steif von der Kälte, und mein Kopf ging immer mehr zu, so als sammelte sich darin der Rotz. Ich schaffte gerade mal eine halbe Seite, dann beschloss ich, lieber zu lesen. Ich zündete beide Öllampen an, legte mich komplett angezogen ins Bett und zog sämtliche alten Decken über mich. Aber inzwischen war es draußen schon so dunkel, dass ich trotz der Lampen kaum die Wörter auf der Seite erkennen konnte. Außerdem war ich völlig durchgefroren.
In dem Moment wurde mir erst richtig bewusst, wie wichtig mir Wärme und gutes Licht waren. Wenn ich ganz in die Hütte zöge, müsste ich bei jeder Art von schlechtem Wetter irgendwie klarkommen. Wenn das Holz nass würde, gäbe es eben kein Feuer, und selbst wenn ich es schaffen würde, es trocken zu halten, wäre der Haufen doch irgendwann aufgebraucht. Wenn meine Kleider nass würden, hätte ich nichts Warmes, Trockenes mehr zum Anziehen, und wenn ich nach Hause käme, hätte niemand für mich gekocht und das Essen in den Ofen gestellt, damit es heiß blieb. Und ich hätte extrem wenig Licht, vor allem im Winter.
Ich ließ den Blick durch meine kleine Hütte schweifen und sah zum ersten Mal, was für ein Schuppen sie im Grunde war. Durch die nicht abgedichteten Ritzen zwischen den Balken drang eisige Kälte herein. Der Boden war noch
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