Zoë
immer so dreckig, dass man ihn für den nackten Erdboden halten konnte. In dem Ding, das als Waschbecken herhalten musste, lag eine dünne Eisschicht. Würde ich wirklich so leben können? Für immer? Und zwar nicht nur ein, zwei Stunden am Tag, sondern Tag und Nacht, im Frühling, Sommer, Herbst oder Winter, Jahr für Jahr? Das Fernsehen würde mir vielleicht nicht fehlen, aber was wäre mit fließendem heißen und kalten Wasser oder mit sauberen Kleidern? Mit Wärme, für die ich nicht erst selbst sorgen musste? Mit elektrischem Licht? Könnte ich ohne Bad und ohne Toilette mit Wasserspülung zurechtkommen? Und selbst wenn ich es könnte – würde ich es wollen? Und was würde ich essen? Würde ich stehlen, was ich nicht selbst anpflanzen könnte, oder würde ich mit eigenen Händen töten? Könnte ich das wirklich – ein Tier töten? Und es dann häuten, kochen und essen ? Würde ich mich irgendwann einsam fühlen? Würden mir Gespräche mit anderen Menschen fehlen? Und was wäre, wenn ich krank würde, so wie jetzt? Oder Hilfe brauchte?
Ein Gewirr von Fragen ging mir durch den Kopf, während ich zitternd und schniefend in diesem armseligen Bett lag. Ich fühlte mich wie ein Häufchen Elend, und entsprechend fielen auch die Antworten aus: deprimierend klar. Ich sah hoch zu dem Bord mit dem Foto der traurigen Frau, der sorgenvollen Mutter eines bemitleidenswerten Kindes, und mir kam der Gedanke, dass noch das härteste Leben von Menschen, über die ich in Büchern gelesen hatte, wärmer und behaglicher gewesen sein dürfte als das dieser beiden.
In dem Moment sah ich sie. Sie stand ganz unauffällig zwischen den anderen, Schulter an Schulter mit dem Eichhörnchenund dem Reh. Ich stand auf, um genauer hinsehen zu können. Auf dem Bord, neben dem Foto der Frau und den sechs kleinen geschnitzten Tieren, befand sich eine siebte Figur, nicht größer als eine halbe Walnussschale. Die Katze, die zusammengerollt fest schlafend dalag, glich in allen Einzelheiten meinem eigenen Kater, bis hin zu dem übergroßen Kopf, den eingerissenen Ohren und dem Fleck auf der rechten Seite seiner vollkommenen, winzigen Nase. Sie war wunderschön, und ich wusste sofort, dass sie für mich sein sollte.
Ich nahm sie in meine gewölbten Hände und staunte über die Ähnlichkeit. Erst dann wurde mir etwas klar: Wer immer diese Katze gemacht und hier hingestellt hatte, musste mich ständig beobachtet haben, egal, was ich machte. Erschrocken fuhr ich herum, fast erwartete ich, jemanden vor dem Fenster oder in der Tür stehen zu sehen, aber draußen war nichts als Wind und Regen.
Ich steckte die Schnitzerei in meine Jackentasche und lief so schnell wie möglich zurück zu Henry. Auf dem ganzen Weg hielt ich die kleine Holzkatze zwischen meinen Fingern. Ich war richtig froh, als ich Henrys Skulpturen sah, die sich wie zu meiner Begrüßung im Wind drehten, und hörte erleichtert das Kreischen seines Schweißgeräts hinter dem Haus. Ich machte im gesamten unteren Stockwerk Licht und stellte den Backofen an, um das Essen, das darin wartete, heiß zu machen. Anschließend setzte ich mich hin, drehte die kleine Katze in den Händen und strich ihr mit dem Finger über den Buckel und die spitzen Ohren. Angst hatte ich eigentlich nicht. Niemand, der mir Böses wollte, würde etwas so Schönes für mich schnitzen. Vielmehr beunruhigte mich, dass derjenige, der diese Katze geschnitzt hatte, mich zu kennen schien, meine tagtäglichen Gewohnheiten und Geheimnisse, Dinge, die niemand wissen konnte, der mich nicht Tag und Nacht beobachtete.
Die Haustür ging auf, und Henry kickte seine Stiefel im Flur in die Ecke. Schnell schob ich die geschnitzte Katze in meine Jackentasche zurück.
»Wie fühlst du dich?«, fragte er, als er in die Küche kam. Er schrubbte sich die dreckigen Hände im Waschbecken und legte mir dann nach Ärzteart eine Hand auf die Stirn. Als er meine nass geschwitzten Haare und Kleider bemerkte, zog er eine Augenbraue hoch. »Du hättest heute eigentlich ins Bett gehört.«
»Ach, es war so ein komischer Tag«, sagte ich.
Er nickte, so als fände er das auch, dann holte er den Braten aus dem Ofen und stellte ihn auf den Herd. Er schnitt zwei dünne Scheiben ab, legte sie zusammen mit Möhren und Kartoffeln auf einen Teller und reichte ihn mir. Dann machte er für sich selbst eine größere Portion fertig und setzte sich. »Tut mir leid, das mit diesen Leuten«, sagte er.
»Ich glaube, du tust mir mehr leid.«
»Das exotische
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