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Zoë

Titel: Zoë Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Carmichael
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kein bisschen mitleidig wirkte.
    »Mrs Wilson«, sagte Henry steif. Er legte mir eine Hand aufdie Schulter und drückte einmal fest. »Dies ist meine Nichte Zoë. Sie lebt jetzt bei mir.«
    Mrs Wilson machte ein Gesicht, als hielte sie das für eine ausgesprochen fragwürdige Idee.
    »Und das ist echt nett von ihm«, sagte ich, »wo ich doch direkt aus dem Knast komme.«
    Henry kniff mich in die Schulter, dasdie schulters es richtig weh tat, aber ich ließ mir nichts anmerken. Diese Genugtuung gönnte ich weder ihm noch der Stinktiertante.
    »Wie ich sehe, sind eine spitze Zunge und die Neigung zu Aufschneiderei bei den Roysters weit verbreitet«, bemerkte Mrs Wilson, »nicht anders als Promiskuität und sonstiges ruchloses Verhalten.«
    Ich hätte vor Wut Feuer spucken können. »Ich weiß durchaus, was diese Ausdrücke bedeuten, Sie bösartige alte …«, sagte ich, und wollte ihr gerade klarmachen, wo sie sich ihre Ansichten hinstecken könne, doch Henry fiel mir ins Wort.
    »Wir müssen weiter, Mrs Wilson. Grüßen Sie Dr. Wilson von mir«, sagte er, dann klemmte er mich unter eine stinkende Achselhöhle und sah zu, dass er mit mir und dem Wagen zu den Kassen kam.
    »Willst du dir das etwa gefallen lassen?«, brüllte ich. »Die hat uns übelst beschimpft!«
    »Hältst du jetzt mal den Mund!« Mehr sagte er nicht.
    Zwing mich doch , wollte ich schon antworten, aber sein scharfer Tonfall kam mir vor wie die Zündschnur an einer Stange Dynamit, und an die wollte ich lieber doch kein Streichholz halten.
    Im Auto schmollten wir beide, und so fuhren wir schweigend zum Haus zurück. Ich war zu sauer und zu müde, um mir groß Gedanken zu machen, in welcher seiner schlechten Stimmungen Henry war und warum. Er war mit Sicherheit der launenhaftesteMensch, der mir je begegnet war, Mama und ihre Freunde eingeschlossen.
    Ich dachte an all die Mrs Wilsons, die ich kennengelernt hatte, die vielen Wichtigtuer, die alle am besten zu wissen glaubten, wer geeignet sei, mich aufzuziehen, und wer nicht, und die über mich und mein Leben nur die Nase rümpften. Falls Henry genauso dachte, behielt er es wenigstens für sich. Jetzt legte er eine CD ein – eine langsame, traurige Musik ohne Gesang. Er drehte sie voll auf.
    Ich verstand den Wink und sah zum Fenster hinaus. Sugar Hill war ein trostloses Kaff, nichts Erfreuliches weit und breit. Mama und ich hatten in einem Dutzend solcher Städte gelebt, Städte, in denen man nur an dem einen oder anderen Schnellimbiss oder Autohändler merkte, dass sie im 21. Jahrhundert angekommen waren. Jede Menge Läden standen leer, Schilder mit der Aufschrift Zu vermieten hingen schief und eingestaubt in Schaufenstern oder an Türen. Zwischen den windschiefen Häusern und staubigen Hinterhöfen der bettelarmen, immermüden Bewohner kämpften hier und da ein Waschsalon oder ein Pfandleiher oder ein Alkoholladen ums Überleben. Inhaber von kleinen Lebensmittelläden hatten ihre Sonderangebote von Hand an die Fensterscheiben geschrieben. Kinder rannten zur Abkühlung durch den Wasserstrahl der Sprinkler oder zum Spielen auf die Straße, sobald die Autos vorüber waren, ältere Leute warteten in Grüppchen an Hausecken oder auf Veranden darauf, dass die Sonne unterging und die ärgste Hitze mit sich nahm. Eine ganze Reihe Leute lächelten und winkten fröhlich, als sie Henry erkannten, aber er war so in Gedanken, dass er das gar nicht bemerkte. Obwohl ich so sauer war auf Henry, gefiel es mir doch, dass er offenbar gut Freund war mit denen auf der anderen Seite der Stadt, den Habenichtsen.
    Das Viertel der Rechtsanwälte bildete die Grenze zwischen der armen und der reichen Gegend. Dahinter waren die Häuser größer und hatten schattige Innenhöfe und Wintergärten. Blumen quollen aus Hängeampeln, die Büsche waren perfekt in Form geschnitten, manche rund, manche eckig. Noch gut einen Kilometer, dann waren wir auf dem Land und bald darauf zurück im Haus.
    Gott sei Dank klingelte das Telefon, als wir gerade dabei waren, die Lebensmittel einzuräumen, und Henry stürmte durch den Flur in sein Arbeitszimmer, um zu antworten. Ich kletterte die Trittleiter in der Küche hoch, nahm zwei Schälchen aus dem Schrank und füllte eines mit Katzenfutter, das andere mit Wasser. Dann klemmte ich mir eine runde Kuchenform aus Aluminium wie eine Frisbeescheibe unter den Arm und trug alles nach draußen. Die Dunkelheit des Sommerabends lag wie zäher Sirup über dem Garten. Ich war froh, dass dieser spezielle Tag

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