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Zoë

Titel: Zoë Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Carmichael
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Bessie am liebsten gehört hatte. Aber ich hatte größte Mühe, nicht zu weinen. Ich las den Teil, in dem ich aufgeschrieben hatte, was Bessie einmal über Schönheit gesagt hatte – dass Menschen danach ausgehungert sein könnten. Auch, dass sie eine Herztransplantation stets abgelehnt hatte, weil sie überzeugt gewesen war, dass sie nicht sie selbst sein könnte mit dem Herzen eines anderen Menschen in ihrer Brust, las ich vor. Und schließlich las ich noch den Teil über Erntedank, als Bessie die Wahrheit über Garland Beans Rettung ans Tageslicht gebracht und der im Ort verbreiteten Lüge widersprochen hatte.
    Als ich fertig war, standen die Leute auf und klatschten. Sie klatschten für Bessie, das weiß ich.
    Später, bei der Beisetzung, las ich noch aus anderen, neueren Eintragungen aus meinem Tagebuch – über Henrys Ausstellungseröffnung in New York und Schwesterchens Zusammenstoß mit der Religion zwischen den Kirchenbänken, denn all das hatte Bessie ja schon nicht mehr erlebt. Es war eine schöne Vorstellung, dass sie mich jetzt hören konnte. Henry hatte ihr ein Grab gleich neben dem von Mama ausheben lassen, so wie ich ihn gebeten hatte. Bessie hatte geglaubt, sie und Mama könnten sich somanches zu erzählen haben, falls sich herausstellen sollte, dass solche Unterhaltungen möglich sind. Vielleicht könnten sie sogar Freundinnen werden.
    Kurz nach der Beisetzung fing es wieder an zu schneien, und eine Zeitlang blieb jeder für sich. Alle sahen ein bisschen verloren aus. Fred stand noch lange bei Bessie am Grab. Er wurde den Gedanken nicht los, dass sie sich einsam fühlen könnte, so ganz allein. Als er schließlich zum Haus kam, ging er ganz automatisch in die Küche. Dort stand er und starrte die Schränke, den Kühlschrank und den Herd an, so als wäre er auf dem Mond gelandet.
    Maud ging zu ihm und führte ihn zu einem Stuhl. Er sprach die ganze Zeit kein Wort, aber so würde es wohl jeder machen, der das Gefühl hätte, sein ganzes Leben sei mit einem Mal ohne Sinn. Er schien kaum mitzubekommen, wenn man ihn ansprach. Henry blieb immer in seiner Nähe, und auch wenn die beiden keine zwanzig Worte miteinander wechselten, so verstand ich doch, dass in ihrem Schweigen ganze Unterhaltungen stattfanden.
    Der Padre saß im Vorderzimmer und nippte an seinem Sherry. Beim zweiten Glas hatte er Bessie schon seliggesprochen, beim dritten war sie zur Heiligen aufgestiegen. Anscheinend bot der steife Stehkragen der Priester auch keinen Schutz gegen die Trauer über den Verlust von Menschen. Ganz schlicht und unscheinbar sah der Padre aus, einfach wie jemand, der soeben seine beste Freundin oder seinen besten Freund beerdigt hat.
    Harlan ging auf und ab und grummelte vor sich hin, dass ganz bestimmt etwas Schlimmes passieren würde, weil Wil mit dem Motorrad unterwegs sei und er, Harlan, nicht mehr dazu gekommen sei, die Luft in den neuen Reifen zu überprüfen oder die alten Bremsen zu ersetzen.
    Immer mehr Menschen kamen ins Haus, solche, die in derKirche gewesen waren, aber auch andere. Dabei hatte es gar keine Einladungen gegeben und auch keinerlei Vorbereitungen für einen offiziellen Empfang. »Die Leute wissen Bescheid«, sagte Helen. »Als meine Mutter gestorben ist, war es genauso. Sie kommen einfach.«
    Und so war es. Den ganzen restlichen Tag über trafen immer wieder Besucher ein, in kleinen, schneeberieselten Grüppchen. Farmer, die Fred kannten und mit ihren Pflügen zu Henry kamen, wenn es etwas zu schweißen gab, Leute, die immer bei Fred ihre Blumen kauften, und solche, deren Herz Henry geflickt hatte, vor allem aber solche, die wussten, wie viel Bessie jedem von uns bedeutet hatte. Sie füllten die Küche mit ihren gefüllten Kochtöpfen und das Haus mit heiteren Erinnerungen an Bessie und Spekulationen über Wils Verbleib.
    Als der Tag schon fast vorüber war, kam Ms Avery. Draußen warte noch jemand, sagte sie zu mir, er traue sich nicht herein. Ich zog mir meinen Mantel an und ging hinaus. Zuerst sah ich nichts als das Schneetreiben, doch dann entdeckte ich Hargrove, der neben Herrn Kommkomm hockte, unter der Skulptur, die Henry für mich gemacht hatte.
    Ich ging zu den beiden hinüber. »Hey, Hargrove«, sagte ich.
    »Hey.« Er stand auf, die Hände in den Taschen.
    »Das war wirklich toll von dir, was du für Schwesterchen gemacht hast.«
    Er nickte, schaute aber immer weiter auf seine Füße. »Wie geht es ihr?«
    »Gut. Maud Booker kümmert sich um sie. Ist dein Vater noch

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