Zores
haben einen auf einmal nimma gegrüßt. Da wird einem dann schon anders.“
„Ja, da haben S’ recht. Das ist … war … ungut.“
„Unser Hausmeister zum Beispiel. Jahrzehntelang ist der vor meinem Vater am Bauch g’rutscht. Küss die Hand, Herr Kommerzialrat, g’schamster Diener, habe die Ehre und so weiter. Und vorige Woche steht er einfach nur da und schaut. Als mein Vater ihn fragt, welche Laus ihm denn über den Weg gelaufen ist, sagt der nur: Was geht dich das an, du Itzig! Und als sich mein Vater diesen Ton verbitten will, wird der Hausmeister nachgerade rabiat und sagt zu meinem Vater, er soll sich in Acht nehmen, weil übers Jahr g’hört die Wohnung ihm, und der Herr Papa fahrt auf Dachau zur Erholung.“
„Na, ich hoffe, der Herr Papa setzt diesen vorlauten Flegel vor die Tür! Übrigens, wie geht es ihm denn, dem Herrn Duft?“
„Wenn’s nach meinem Vater ginge, dann könnte der Kerl heute noch sein Ränzel schnüren. Aber leider g’hört ihm das Haus ja nicht, also kann er da gar nichts machen. Und, ehrlich g’sagt, es ist ihm schon einmal besser gangen. Herrenhemden sind nicht gerade etwas, von dem man reich wird. Vor allem nicht, wenn die halbe Kundschaft ausbleibt.“
Bronstein war sich nicht sicher, ob dieser Satz eine versteckte Spitze beinhaltet hatte, doch er kam zu dem Schluss, ohnehinschon lange nicht mehr beim alten Duft eingekauft zu haben. „Sehen S’, das ist wirklich gut, dass ich Sie heute hier getroffen hab. Ich brauch eh schon lang ein neues Hemd. Da kann ich gleich morgen nach Dienstschluss bei Ihrem Herrn Vater vorbeischauen.“
„Ja, machen S’ das, Herr Oberst, er wird sich freuen wie nur was! Aber schauen S’ halt bitte, dass es nicht zu spät wird mit dem Besuch. Wissen S’ eh, morgen ist Freitag.“
Bronstein brauchte eine Weile, bis die implizite Botschaft bei ihm ankam. „Ah, Sie meinen wegen dem Sabbat?“
„Genau!“
„Und der fängt mit Einbruch der Dunkelheit an, richtig?“
Duft bestätigte diese Vermutung.
„Na, dann werde ich schon in der Früh hingehen. Das ist sicherer.“
Duft lächelte. „Das wird ihn freuen, den alten Herrn. Er spricht immer so voller Hochachtung von Ihnen, Herr Oberst.“ Das Lächeln ging in Lachen über: „Aber ich muss Sie warnen. Mein Herr Papa hat sich noch immer nicht von der Vorstellung befreit, Sie auf den rechten Weg unseres Volkes zurückzuführen. Eines Tages, sagt er immer, wird auch der liebe Herr Bronstein, der Schöpfer segne ihn, in die Synagoge geh’n. Und wenn es nach ihm geht, werde ich Sie dahin begleiten.“
Bronstein fiel nicht in Dufts Lachen ein. Mit ernster Miene fragte er: „Ihr Herr Papa weiß aber schon, dass ich nicht der erste Protestant in meiner Familie bin?“
„Wahrscheinlich schon. Aber er sieht das als, wie soll ich sagen, temporäre Verirrung an, denke ich. Für ihn gehören wir alle zur jüdischen Schicksalsgemeinschaft.“
Na jedenfalls nicht zur deutschen Volksgemeinschaft, dachte Bronstein, der sich gleichzeitig fragte, warum alle Welt aus ihmetwas machen wollte, was er nicht war und nicht sein wollte. Er kannte sich im Judentum nicht im Geringsten aus, wusste nichts über dessen Speisegesetze, über die Feier- oder die Fasttage, und er hätte kein einziges jüdisches Gebet hersagen können. Nicht, dass es um seinen Protestantismus besser bestellt gewesen wäre. Er hätte nicht einmal zu sagen vermocht, ob für ihn nun drei Sakramente galten oder ob nur eines zählte. Aber darum ging es nicht. Der Protestantismus war ihm vertraut, das Judentum hingegen fremd. Genauso gut hätte man aus ihm einen Italiener machen können. Er konnte gerade „Grazie“ und „Buongiorno“ sagen, und ungefähr diesen Umfang besaßen auch seine Kenntnisse des Jiddischen.
„Die Juden täten sich schön bedanken, wenn ich mich ihnen auf einmal aufdrängen würde“, sagte er tonlos, „an mir würd eine ganze Legion von Rabbinern scheitern. Den Talmud werd ich in diesem Leben nimma versteh’n.“
„Mein Vater tät jetzt sagen, wer zurückfindet zum wahren Glauben, der wird immer willkommen sein.“
„Herzlich willkommen, meine Damen und Herren, an diesem wunderschönen Abend hier in unserem heimeligen Etablissement.“
Ohne dass es Bronstein oder Duft aufgefallen wäre, war der Conferencier auf die Bühne gekommen und schickte sich an, das Programm des Abends anzukündigen.
Zwei Stunden später konnte Bronstein bilanzieren, dass sich wenigstens in Sachen Kabarett im letzten
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