Zores
Wasser füllten. „Ich kenne doch niemanden. Nirgendwo.“ Seine Resignation sprach aus jedem einzelnen Wort.
„Halb so schlimm“, bemühte sich Cerny um Optimismus, „ich hab das schon organisiert. Wir müssen nur noch sehen, dass wir dich zum FranzJosefs-Bahnhof bringen. Wenn du erst in der Tschechoslowakei bist, dann bist du gerettet.“
„Ich? Und was ist mit dir?“
„Um mich geht es jetzt noch nicht. Jetzt müssen wir einmal dafür sorgen, dass du hier rauskommst. Und das schnell. Es kann sich nur noch um Minuten handeln. Also tut allerhöchste Eile not.“
„Aber … wohin … denn?“
„Olomouc. Meine Heimatstadt. Und es würde mich nicht wundern, wenn dort jemand auf dich warten würde, der bereit wäre, sich um dich zu kümmern.“ Dabei lächelte Cerny aufmunternd.
„Aber … wer … sollte … das denn sein?“ Bronsteins Ratlosigkeit war evident.
„Na die Jelka, du Einfaltspinsel. Ich hab sie vor einiger Zeit kontaktiert. Sie ist eingeweiht. Also jetzt mach schon. Die Zeit drängt!“
Auf Bronsteins Gesicht zeigte sich ein seliger Ausdruck. Jelka! Wie lange hatte er sie schon nicht mehr gesehen? Über zehn Jahre. Überschlagsmäßig. Jetzt musste er sich erst recht setzen.
Ganz langsam wandte er sich um und hielt auf einen Sessel zu, während Cerny daranging, aus dem Zimmer den Koffer zu holen, in den er wahllos ein paar Kleidungsstücke packte. Dann blickte er auf. „Nein, David, du setzt dich jetzt nicht nieder! Du suchst gefälligst die Sachen zusammen, die dir ein besonderes Anliegen sind. Fotos, Bücher, die goldene Uhr. Alles andere musst du hier lassen.“
Bronstein hob den Kopf: „Aber meine Personaldoku…“
„Brauchst du nicht.“
Cerny fingerte einen tschechoslowakischen Reisepass aus seiner Hemdtasche. „Da, habe ich extra für dich anfertigen lassen. Dein Bild ist echt. Habe ich aus der Stammrolle im Präsidium entwendet. Du heißt Josef Tauber und bist Handlungsreisender aus Nikolsburg in Mähren. Dein Geburtsdatum habe ich unverändert gelassen. Du musst dir nur merken: Josef Tauber.“ Damit drückte er Bronstein das Dokument in die Hand. Dieser musterte es überrascht.
„Die Fälschung ist nicht besonders gut, ich weiß“, schränkte Cerny ein, „aber die Zeit drängte. Und einer oberflächlichen Überprüfung hält der Pass stand. Also wenn sie keinen Verdacht hegen, dass du nicht Josef Tauber bist, kommst du damit durch. Aber jetzt, gemma, gemma. Es pressiert!“
„Aber wieso?“ Bronstein blickte ratlos zu Cerny auf.
„Weil die Grenze dichtgemacht wurde. Die lassen keine Personen mit österreichischen Dokumenten durch im Moment. Ich hab das aus sicherer Quelle erfahren. Du weißt, ich hab ja nach wie vor Kontakte nach drüben. Um elf ist gestern der letzte Zug abgefahren, und den haben sie schon nicht mehr durchgelassen. Jetzt hängen tausende Österreicher zwischen der Grenze und Břeclav im Niemandsland und können nicht vor und zurück. Deshalb müssen wir auf Nummer sicher gehen. Und deshalb musst du dir jetzt auch einen Satz ganz genau einprägen: Jsem občan Československé republiky. Hast du das verstanden? Das musst du unaufgefordert sagen, denn natürlich musst du so wirken, als verstündest du Tschechisch. Und das geht am besten, wenn du in die Offensive gehst. Verstanden? Also: Jsem občan Československé republiky. Merken!! Und jetzt gemma, gemma!“
Cerny klatschte in die Hände und machte Bronstein Beine. Endlich kam Bewegung in diesen. Tatsächlich raffte Bronstein nun einige Sachen aus seinem Schreibtisch zusammen, holte noch ein paar Fotografien von den Wänden und aus den Bücherregalen. Dann hielt er einen Moment inne und griff schließlich noch nach Musils „Mann ohne Eigenschaften“. „Das ist das Beste, was ich aus Österreich mitnehmen kann“, sagte er wehmütig und legte das Buch zuoberst in den Koffer.
Cerny schloss ihn und hob ihn an. „Alsdern, Herr Tauber, pack ma’s. Das Taxi wartet nicht.“
Er öffnete die Tür und linste nach links und nach rechts. Als er zu der Überzeugung gekommen war, dass die Luft rein war, winkte er Bronstein, ihm zu folgen. Cerny nahm bereits die ersten Stufen, als er spürte, dass Bronstein nicht hinter ihm war. Er drehte sich um. „Was ist denn, in Gottes Namen?“
„Na, ich muss doch zusperren“, protestierte Bronstein.
„Wozu?“, zischte Cerny. „Die treten die Tür ohnehin ein. Vergebene Liebesmüh! Jetzt komm endlich!“ Cerny ging die paar Schritte zurück, schnappte
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