Zorn der Meere
dachte sie. Lass mich einfach in Frieden sterben.
»Haltet durch«, fuhr der Soldat fort. »Später geht es Euch wieder besser.«
Wenn Judith einen Dolch zur Hand gehabt hätte, wäre sie dem Mann damit an die Gurgel gegangen. Im Augenblick schaffte sie es jedoch nicht einmal mehr, ihn auch nur zu verfluchen.
Ermattet lehnte sie sich an die Bordwand zurück. Die Gischt warf einen feinen Sprühregen über sie. Judith schloss dankbar die Lider. Die Wellen sollen über mir zusammenschlagen, dachte sie, mich hinwegspülen und mich dann in die Tiefe tragen.
Jeronimus stand draußen auf dem Quarterdeck und klammerte sich an den Handlauf der Reling. Trotz der Kälte, die dort herrschte, zog er diesen Platz dem Aufenthalt unter Deck vor, denn auf den Gängen lagen die Passagiere in ihrem Erbrochenen, und der Gestank war inzwischen äußerst ekelhaft.
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Die meisten dieser Menschen sind nicht besser als Vieh, fuhr es Jeronimus durch den Kopf, erbärmliches Gesindel, Auswurf der Gesellschaft.
Riesige Wasservorhänge hatten sich vom Himmel herabgesenkt und wehten über den Ozean hinweg. Jeronimus überlief trotz des dicken Mantels, den er trug, ein Schauder. Die Holländer sind eine Nation von hoffnungslosen Dummköpfen, fuhr er in Gedanken fort. Sie brauchen jemanden, der sie leitet, der ihnen das neue Königreich erklärt. Ein Reich, in dem jeder frei ist, auf seine eigene Art zu leben. Der Maler Torrentius hatte das verstanden, er hatte sich seinen Verstand nicht von der Kirche trüben lassen. Dafür hatten die Verblendeten ihn gefoltert und hernach verbannt.
Nun war es an ihm, Jeronimus Cornelius, den großen Plan zur Vollendung zu bringen. Er war der von Gott Erwählte. Dort in der Ferne, jenseits der kalten Fluten, erwartete ihn das Schicksal und harrte des neuen Königs. Bis es so weit war, würde er sich um die Zusammensetzung seiner Gefolgschaft bemühen.
Sechsunddreißig Grad und achtzehn Minuten nördlicher Breite
zwanzigster Tag des November im Jahre des Herrn, 1628
Die Segel der Batavia hatten sich mit frischem Wind gefüllt, so dass sie ihre Bahn schneidig durch die Wellen zog. Zu ihrer Linken hoben sich die dunklen Silhouetten der Assendelft und der Buren vor der glänzenden Meeresoberfläche ab. Die restliche Flotte war im Sturm zurückgefallen und würde ordentlich zulegen müssen, um die Batavia einzuholen.
Inzwischen war ein freundlicher Morgen angebrochen. Der Himmel leuchtete blau und klar, das Meer hatte sich beruhigt.
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Francois Pelsaert lehnte an der Reling. Im Allgemeinen vermied er es, während der Wache des Kapitäns an Deck zu erscheinen - wobei ihm allerdings aufgefallen war, dass der Kapitän ähnlich verfuhr und ihm seinerseits aus dem Weg zu gehen schien.
Francois wusste, dass Jacobs ein fähiger Mann war, doch ihm war auch klar, dass sie niemals Freundschaft schließen würden, schon allein wegen jenes Zwischenfalls nicht, der sich damals in Surat ereignet hatte.
Francois hörte, dass jemand die Tür der Offiziersmesse zuschlug und anschließend das Deck betrat. Es war der Unterkaufmann.
»Ein wundervoller Tag, nicht wahr«, hob Jeronimus an, ehe er verschämt lächelnd hinzufügte: »Wenn ich nur wusste, wo wir sind.«
»Nach Aussage des Kapitäns haben wir Kap Finisterre umrundet«, erwiderte Francois. »Die Küste dort gehört bereits zu Portugal. Wir befinden uns etwa sechsunddreißig Grad nördlich des Äquators.«Jeronimus stützte sich auf der Reling ab.
Er wirkte mit einem Mal nachdenklich. »Herrscht zwischen Euch und dem Kapitän böses Blut?«, fragte er teilnahms voll.
Das scheint sich nicht verbergen zu lassen, dachte Francois.
»Letztes Jahr, als ich aus Indien zurückkehrte«, begann er,
»führte er das Schiff, auf dem ich von Surat aus weitersegelte.
Dabei gab es einen kleinen Streit.« Er hielt kurz inne. »Jacobs machte unter der Hand Geschäfte«, fuhr er leiser fort. »Ich war gezwungen, ihn offiziell zu tadeln.«
»In dem Fall scheint es mir ein äußerst unglückseliger Umstand zu sein, dass die Gesellschaft Euch abermals zusammengebracht hat.«
»Sowohl er als auch ich werden das Beste daraus machen.«
Jeronimus wiegte den Kopf. »Jacobs ist ein schwieriger Mann.«
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»Das halte ich für eine freundliche Untertreibung.«
»Zum Glück wird das, was ihm an Liebenswürdigkeit gebricht, von einer gewissen anderen Person mehr als wettgemacht, nicht wahr?«
»Bezieht Ihr Euch auf Frau van der Mylen?«
»Eine berückende Schönheit,
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