Zorn des Loewen
Öffentliche Sicherheit. Philippe, Graf de Beaumont, letzter Sproß einer der bedeutendsten Offiziersfamilien Frankreichs.«
»Und der lebt auf den Kanal-Inseln?«
»Er war ein bedeutender Verfechter eines französischen Algerien. Als sich de Gaulle der Seite der Befürworter eines unabhängigen Algeriens zuneigte, nahm de Beaumont seinen Abschied und verließ Frankreich. Mit einem Zirkel schlug Sir Charles einen Kreis auf der Karte etwa dreißig Meilen südwestlich von Guernsey. »Dort gibt es eine Insel, die Île de Roc heißt und dem alten Hamish Grant gehört.«
»Sprechen Sie von dem Eisernen Grant, dem Wüstenfuchs des Westens?«
»Genau den meine ich. Er lebt dort seit fünf Jahren mit seiner Tochter Fiona und schreibt an seinen Kriegserinnerungen. Seine Schwiegertochter, Mrs. Anne Grant, scheint den Laden dort zu schmeißen. Ihr Mann ist in Korea gefallen. Ungefähr eine Meile westlich von der Île de Roc befindet sich eine kleinere Insel, die St. Pierre heißt.«
»Und dort lebt de Beaumont?«
»Ja. Der hat die Insel vor zwei Jahren von Grant gekauft. Auf der Höhe des Felsens steht eine Art Schloß, die irgendein verschrobener Kauz im neunzehnten Jahrhundert in neugotischem Stil bauen ließ.«
»Und Sie vermuten, daß de Beaumont nichts Gutes im Schilde führt?«
»Ich würde es so ausdrücken: Die Franzosen haben in den letzten zwei, drei Jahren versucht, alles über ihn herauszufinden, und obwohl man weiß, daß er mit ihren Zielen liebäugelt, hat man keinerlei Hinweise für Verbindungen zur O. A. S. oder C. N. R. entdecken können. Um ganz offen zu sein, selbst das Außenministerium glaubt, daß er nur ein ›Grand Seigneur‹ ist, der, weil er sich mit de Gaulle überwerfen hat, nicht ins Land zurückkehren will.«
»Sie stimmen dieser Annahme demnach nicht zu?«
»Bis gestern abend hätte ich das noch getan.«
»Was war der Grund dafür, daß Sie Ihre Meinung geändert haben?«
»Ich hatte, sozusagen als Vorsichtsmaßnahme, einen Mann dorthin abgestellt, der de Beaumont im Auge behalten sollte. Auf der Île de Roc gibt es ein kleines Hotel. Dort arbeitete er in der Bar. Seit Dienstag wurde er vermißt, und gestern wurde seine Leiche mit der Abendflut an Land geschwemmt. Die zuständige Polizeibehörde in Guernsey schickte Leute hinüber und ließ den toten Mann abholen. Es erübrigt sich, festzustellen, daß man keinerlei Hinweis auf Fremdeinwirkung finden konnte.«
»Sie gehen davon aus, daß er irgend etwas gesehen haben könnte?«
Sir Charles hob die Schultern. »Ich sehe keinen Grund, das Gegenteil anzunehmen. Die Alouette verließ Brest vor zwei Tagen zu einer Übungsfahrt. Sie könnte sich kurz in St. Pierre aufgehalten haben und dort von unserem Mann beobachtet worden sein. Für mich ist ziemlich klar, daß er irgend etwas bemerkt hat. Das ›Deuxième Bureau‹ stimmt darin mit mir überein. Die schicken übrigens auch jemanden rüber, der mit Ihnen dort zusammenarbeiten soll.«
»Jetzt kommen wir also zum Punkt«, stellte Mallory fest.
Sir Charles schob ihm einen Ordner hinüber. »Raoul Guyon, neunundzwanzig. Er war Hauptmann in einem Fallschirmjägerregiment. Ging 1952 direkt von St. Cyr nach Indochina.«
Mallory betrachtete das beigefügte Foto. Es zeigte einen schmalhüftigen, athletischen jungen Mann, der die Ärmel seiner Tarnanzugsjacke hochgekrempelt hatte und seine gebräunten Arme sehen ließ. Sein sonnenverbranntes Gesicht wirkte ruhig, seine Augen waren dunkel, und eine Schirmmütze, die Schatten auf sein Gesicht warf, verlieh ihm ein merkwürdig finsteres und bedrohliches Aussehen.
»Warum hat er die Armee verlassen?«
»Gott weiß warum«, merkte Sir Charles an. »Ich könnte mir vorstellen, daß jedem Menschen sechs Jahre Algerien gereicht hätten. Er bat um unbezahlten Urlaub, und Legrande vom ›Deuxième‹ bot ihm einen Job an.«
»Wann werde ich ihn kennenlernen?«
»Gar nicht, zumindest nicht im Augenblick. Er scheint ein passabler Maler zu sein, und das benutzt er zur Tarnung. Morgen wird er auf der Île de Roc eintreffen und dort im Hotel absteigen.«
»Was ist mit mir?«
»Das ist leider etwas komplizierter. Wenn de Beaumont etwas mit der Sache zu tun hat, rechnet er mit Besuch. Wir müssen Ihr Erscheinen so unverdächtig wie möglich gestalten, um ihn mindestens ein, zwei Tage lang täuschen zu können. Ich kann Ihnen gleich offen sagen, daß das die äußerste Zeitspanne ist, die Ihnen zur
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