Zorn des Loewen
watete heraus auf die Sandbank, bis die Fleur de Lys nicht mehr zu sehen war. Einige Augenblicke später stand er am entgegengesetzten Ende, wo sich das Wasser schon über den Sand ergoß, und schaute hinüber zur Île de Yeu. Von der Alouette war nichts zu sehen. So drehte er um und lief den Weg, den er gekommen war, zurück. Das Wasser spritzte auf, als er über den von der einsetzenden Flut überspülten Sand eilte.
Die Fleur de Lys schaukelte schon langsam in den anschwellenden Kanal hinein. Er zog sich an Guyons ausgestrecktem Arm hoch und kletterte über die Reling.
»Keine Spur von ihnen. Ich werde jetzt das letzte aus dem Boot herausholen und mit Volldampf auf das Meer hinausbrausen. Die müssen sich schon was verdammt Gutes einfallen lassen, um uns noch auf zuhalten.«
Mallory ging in das Ruderhaus, startete den Motor und ließ das Boot rückwärts in den Fluß gleiten. Die Sicht wurde ständig besser, der Nebel lichtete sich, und die Fleur de Lys stürmte in der Mitte des Fahrwassers zur offenen See hin. Ihre Bugwelle spritzte zu beiden Seiten hoch auf.
Die Flußmündung tauchte vor ihnen auf, klar und offen zum Meer.
Mallory steuerte ein paar Strich nach Backbord, um der großen Sandbank, die sich fünfzig Meter vor ihnen aufbaute, auszuweichen. Sie fuhren um die Spitze herum und wurden von der gegenläufigen Strömung erfaßt. Dann sahen sie die Alouette, die plötzlich ruhig vor ihnen lag. Man schien auf sie zu warten.
Jacaud stand im Turm hinter dem schweren, auf dem Drehgelenk aufgebauten Maschinengewehr. Sobald sie in sein Blickfeld gerieten, eröffnete er das Feuer. Kugeln zischten über Deck. Mallory duckte sich sofort weg, als sie die Scheiben im Ruderhaus zerschlugen.
Guyon kauerte in der Türöffnung. Den Revolver hatte er auf einen Arm gestützt und versuchte, zu einem ruhigen Schuß zu kommen. Das jedoch war unmöglich. Während noch weitere Kugeln in den Rumpf einschlugen, riß Mallory das Steuer herum. Durch das plötzliche Manöver verlor Guyon das Gleichgewicht.
Es war der Nebel, der sie rettete, eine dichte, breite Nebelbank, die der Wind über das Riff hereinwehte, und die sie augenblicklich verschlang. Guyon rappelte sich hoch und lauschte dem Rattern des Maschinengewehrs, das Jacaud immer noch bediente. Bald darauf trat Stille ein.
Guyon schaute Mallory an und seufzte. »Ich glaube, das sollte einen weiteren Drink wert sein.«
Als sie aus der Nebelbank heraus in die offene See glitten, schaltete Mallory wieder auf volle Fahrt. Er schaute zu Guyon und grinste ihn an. »Da scheint alles in Ordnung, Gott sei Dank.«
Der Franzose stieg in den Salon hinab und kehrte mit dem Courvoisier zurück. »Er hat ein heilloses Durcheinander da unten angerichtet. Wo man hinschaut, Löcher. De Beaumont wird darüber nicht sehr erfreut sein.«
Mallory nippte an seinem Cognac und zündete sich eine Zigarette an. »Das werden wir bestimmt bald herausfinden.«
Guyon ging in die Kabine hinunter und ließ Mallory zurück, der mit sichtlichem Vergnügen an seiner Zigarette zog. Alles würde gut werden, davon war er überzeugt. Manchmal überkamen einen solche Gefühle. Der Wind hatte noch mehr aufgefrischt, und Wasser spritzte gegen die zersplitterten Scheiben des Ruderhauses. Er ließ den Steuermannsstuhl von der Wand herunter und setzte sich.
Einige Zeit später erschien Guyon mit ein paar belegten Broten und heißem Kaffee. Mallory schaltete den Autopiloten ein. »Soll ich übernehmen?« fragte Guyon.
Der Engländer schüttelte den Kopf. »Unter diesen Voraussetzungen sollten wir eigentlich höchstens zwei Stunden brauchen, bis wir dort sind.«
Es war nur etwa eine halbe Stunde später, als er bemerkte, daß sie zusehends an Geschwindigkeit verloren. Seine Versuche, die Instrumente wieder richtig einzustellen, schlugen fehl. Darum schaltete er die automatische Steuerung ein und ging nach unten.
Guyon lag mit geschlossenen Augen und unter dem Kopf verschränkten Händen auf einer Chaiselongue im Salon. Als Mallory hereinkam, schlug er die Augen auf und setzte sich hin.
»Irgendwas nicht in Ordnung?«
»Weiß noch nicht«, erklärte Mallory, »aber wir verlieren ganz schön an Tempo, und das Boot reagiert nicht mehr so auf das Ruder, wie es sollte.«
Die Fleur de Lys legte sich zur Steuerbordseite, und sie vernahmen das Rauschen von Wasser unter ihren Füßen. Mallory kniete sich nieder, zog den Teppich zurück und spähte
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