Zorn des Loewen
dieser für diese Gegend besonders tauglichen Nachen zu sehen. Er verharrte einen Augenblick nachdenklich und schritt auf das Haus zu.
Der Rauch eines Holzfeuers kroch ihm in die Nase. Er sah ihn bläulich aus dem grobbehauenen Kamin aufsteigen. Er erklomm die ausgetretenen Holzstufen zur Veranda, öffnete die Tür und ging hinein.
Der Wohnraum war einfach, aber behaglich eingerichtet. Kleine Teppiche lagen über den gewachsten Holzfußboden verteilt, ein Sofa und zwei gemütliche Sessel standen um den Kamin gruppiert, und ein paar gutgefüllte Bücherregale zierten die Wände.
Holzscheite schwelten ungleichmäßig auf der steinernen Feuerstelle. Die hochaufgeschüttete Asche drumherum sollte verhindern, daß sie zu rasch verbrannten. Das alles vermittelte Guyon den Eindruck, daß Henry Granville und seine Frau nicht anwesend waren. Mit dieser Möglichkeit werden die anderen wohl auch gerechnet haben.
Das große Hobby des alten Herrn war die Ornithologie, über die er sogar schon ein Buch geschrieben hatte. So war es ganz offensichtlich, daß er jetzt irgendwo mit seiner Frau in einem Boot im Schilf unterwegs war, das so viele Quadratkilometer des Sumpflandes bedeckte. Vermutlich steckte er seit der Morgendämmerung an irgendeinem verborgenen Nistplatz und fotografierte.
Guyon verließ das Haus und lief zum Bootssteg hinunter. Ganz schwach drang durch den Nebel das Geräusch eines Außenbordmotors an sein Ohr. Jacaud und seine Leute! Für sie war ihr weiteres Verhalten klar vorauszusehen: Sie brauchten einfach nur auf das Erscheinen von Granville zu warten. Nicht einmal suchen mußten sie ihn.
Nun gab es nur noch eine Möglichkeit: Guyon watete in den See hinein und kämpfte sich zum anderen Ufer durch. Dann fühlte er wieder festen Boden und lief am Ufer entlang auf die Stelle zu, von wo das Rattern des Motors erklang.
Trotz der klammen Kälte des Marschlandes rann Fenelon der Schweiß in den Achselhöhlen. Seit jenem Augenblick des ersten Schocks, als die Fleur de Lys am Ende der Flußmündung an ihnen vorbeigeschossen war, fühlte er sich krank und unwohl. Und dann kam auch noch de Beaumonts Nachricht über Funk, und seine Sinne schienen ihm zu schwinden, als der Funker sie entschlüsselte.
Die Meldung war eindeutig und klar: Unter diesen Umständen sollten sie unverzüglich zurückkehren. Das jedoch hatte Jacaud nicht für gut befunden. Er hatte darauf bestanden, weiter in das Sumpfland einzudringen, und Fenelon war vor dieser kalten Wut zurückgeschreckt und hatte klein beigegeben.
Zu beiden Seiten erhoben sich die Schilfwälder wie bleiche Geister; das einzige Geräusch war das des Motors. Er saß im Heck und hielt die Ruderpinne; in der Mitte des Bootes saßen zwei Matrosen mit Gewehren. Jacaud hatte sich auf dem runden Bug niedergelassen und trug ein Maschinengewehr quer über dem Rücken. Wie er so in den Nebel spähte, sah er aus wie ein riesiger Raubvogel.
Er wandte sich zu den Männern im Boot. Über sein hartes, brutales Gesicht rann die Nässe. »Wir müssen jetzt fast da sein. Stellt den Motor ab, wir werden paddeln.«
»Du verplemperst deine Zeit, Jacaud«, rief Guyon vergnügt. »Ich bin dir diesmal zuvorgekommen. Henri Granville und seine Frau befinden sich auf dem sicheren Weg von hier weg.«
Das Schlauchboot trieb weiter auf eine Sandbank zu, die aus dem Schilf herausragte. Auf einer kleinen Erhebung am anderen Ende stand Guyon. Er riß seine Hand hoch und feuerte zweimal. Einer der Matrosen stöhnte auf und fiel über den Rand des Bootes, das Gewehr noch fest umklammert.
Jacaud streifte das Maschinengewehr ab. Es ratterte mit einem langen, stotternden Feuerstoß los, der scharf durch das Schilf peitschte. Aber er kam zu spät. Guyon war schon wie ein Geist in den Nebel verschwunden. Man hörte nur noch sein spöttisches Lachen in der Nähe, dann war es wieder ganz still.
Der zweite Matrose beugte sich über den Bootsrand, um seinen Kameraden wieder hereinzuziehen. Jacaud drehte sich zu ihm und schlug ihm den Arm hoch: »Laß ihn. Wir haben keine Zeit.«
Der Matrose wich erschreckt vor dieser Teufelsfratze zurück, die ihn mit tödlicher Wut anstarrte. Das Merkwürdige war nur, daß, als Jacaud zu sprechen begann, seine Stimme ganz ruhig war: »Zurück zur Alouette, und zwar mit Volldampf. Mallory muß zur Île de Roc zurück. Ihm bleibt keine Wahl. Sein Mädchen ist immer noch da. Wenn wir Glück haben, erwischen wir sie auf dem Weg
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