Zorn und Zeit: Politisch-psychologischer Versuch (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
gefährlich (solange seine Agenten keinen Zugang zu ABC -Waffen erhalten und die Migrationskontrolle hinreichend streng bleibt), hält er den psychopolitischen Tonus der irritierten Kollektive im Westen auf der gewünschten Höhe. Für die Anhänger der liberalen Idylle hingegen bleibt der islamistische Terror ein unwillkommener Gast – gewissermaßen ein verrückter Sprayer, der die Fassaden der feindlosen Gesellschaft mit obszönen Botschaften verunstaltet.
Doch wie auch immer man die ambivalente Aufnahme des neuen Terrors durch seine westlichen Adressaten beurteilen mag: Er wäre nie so schnell über den Rang eines lästigen Randphänomens (allenfalls eines politischen Gewittervorboten) hinausgekommen, hätte er nicht als interessanter Posten bei der Neuberechnung der Kosten für den sozialen Frieden westlicher Gesellschaften in die Bilanzen eingehen können. Während die kommunistische Drohung, wie bemerkt, eine bedeutende Erhöhung der sozialen Friedenskosten zur Folge hatte, gehen von der Drohung des islamistischen Terrors summarisch kostensenkende Wirkungen aus. Indem er das angegriffene Kollektiv imaginär unter Stress setzt, trägt er dazu bei, daß sich in diesem, trotz jüngst wieder enorm vertiefter sozialer Differenzen, das Gefühl ausbildet, einer realen Solidargemeinschaft, das heißt einer um ihre Zukunft ringendenÜberlebenseinheit, anzugehören. Zudem erzeugt der neue Terror dank seiner undifferenzierten Feindschaft gegen die Lebensart des Westens ein Klima diffuser Einschüchterung, in der die Fragen der politischen und existentiellen Sicherheit einen deutlichen Vorrang vor solchen der sozialen Gerechtigkeit erlangen – quod erat operandum .
Mit der Überhöhung des sekuritären Imperativs zum alles beherschenden Motiv der aktuellen Mediendemokratien hat sich der Zeitgeist nach dem 11. September 2001 auf ein neues Ökosystem von Drohungen und Abwehrmaßnahmen umgestellt – wobei für diesmal, so frivol es klingt, die Bedrohungstendenzen des islamistischen Terrors aus der Sicht des radikalisierten Kapitalismus summarisch »in die richtige Richtung« deuten. Sich aus den mittlerweile wohlbekannten nahöstlichen Quellen bedroht fühlen bedeutet jetzt: Gründe sehen, warum man eventuell bereit sein könnte, sich mit dem Abdriften der westlichen politischen Kultur in postdemokratische Zustände abzufinden. Der war on terror besitzt die ideale Eigenschaft, nicht gewonnen werden zu können – und daher nie beendet werden zu müssen. Diese Aussichten verheißen den postdemokratischen Trends ein langes Leben. Sie schaffen die Voraussetzungen, unter denen sich demokratisch gewählte Staatsführer ungestraft als Oberkommandierende gebärden können. Wo das politische Denken sich auf Beratungen des Oberkommandos beschränkt, sind Konzepte wie Demokratie und unabhängige Rechtskultur nur noch Chips in einem strategischen Spiel. 28
Die psychopolitischen Schicksale der Vereinigten Staaten von Amerika während der ersten und zweiten Bush-Administration illustrieren diese Zusammenhänge mit einer Fülle unmißverständlicher Beispiele. Binnen weniger Jahre wurde die Welt Zeuge, wie eine dissensfrohe Demokratie unter der wissentlich und willentlich heraufbeschworenen Fiktiondes von der ganzen Nation zu führenden Überlebenskrieges ein jähes Artensterben auf dem Gebiet der politischen Meinungsvielfalt erlebte: Über Nacht geriet das politische Feld der Nation unter den Einfluß homogenisierender Kräfte. Realen Kriegen gleich kommt es auch in dieser drôle de guerre zu einer Paralyse der inneren Opposition durch den patriotischen Imperativ. Diese Entwicklung ist zu einem gut Teil das Werk der neokonservativen Mullahs in den USA , die keine Hemmungen kennen, vollmundig das Schreckgespenst eines »vierten Weltkrieges« zu beschwören, 29 um nach Möglichkeit jeden Ansatz zu neuen innerkapitalistischen Oppositionsbildungen angesichts wachsender sozialer Ungleichheiten zu ersticken.
Bei der Untersuchung der Neuverteilung der Drohpotentiale auf den geopolitischen Karten der Gegenwart liegt es nahe, die Frage zu stellen, auf welche
Weise die vielbeschworene islamistische Gefahr eigentlich verstanden werden muß. Durch welche Medien wirkt sie in das psychopolitische Gefüge des Westens
und der islamischen Staaten? Birgt sie tatsächlich das Potential, »den Kommunismus als Weltdogma abzulösen«, wie man es in radikalislamistischen Kreisen
zwischen Khartum und Karachi seit einem Jahrzehnt nicht nur hinter
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