Zorn - Wo kein Licht
Eng, schmal, wie Gefängniszellen.
Eine davon war belegt.
Bald würden es ein paar mehr sein.
*
Zorn lief unruhig in seinem Wohnzimmer auf und ab. Eine halbe Stunde, nachdem er wutschnaubend das Lokal verlassen hatte, waren ihm die ersten Zweifel gekommen. Jetzt, vier Stunden später, war es fast zehn, und nun fragte er sich ernsthaft, ob er womöglich Mist gebaut und sich wie ein Volltrottel verhalten hatte.
Er sah zum hundertsten Mal aufs Handy. Keine Nachricht, nichts. Kurz überlegte er, ob er sie anrufen sollte, doch ihm fiel absolut nicht ein, was er ihr sagen würde.
Seufzend riss er das Fenster auf. Die Nacht war hell, Mondlicht glitzerte auf den Dächern. Selbst hier oben roch er den Herbst, die faulenden Blätter, die feuchten Straßen, den Nebel, der irgendwo am Fluss zwischen den Bäumen hing.
So stand er denn da, rauchte, schwankte zwischen Ungewissheit und Trotz, und als er ihren Schlüssel in der Wohnungstür hörte, wusste er nicht, ob er erleichtert oder wütend sein sollte. Er beschloss abzuwarten.
Der Lichtschalter klickte, es wurde dunkel im Zimmer. Zorn drehte sich um und sah ihre schmale Gestalt im Türrahmen lehnen.
»Hi«, sagte Zorn.
Malina kam mit unsicheren Schritten näher und ließ sich aufs Sofa fallen. Zorn stand noch immer am Fenster. Ein Feuerzeug flackerte, ihr Gesicht leuchtete auf, dann versank das Zimmer wieder im Dunkel.
»Ich hab mich wie ein Idiot benommen, Malina.«
Die Zigarette glühte auf, Zorn sah, dass ihre Finger zitterten. Malina rauchte so gut wie nie. Nur, wenn sie betrunken oder wütend war. Jetzt, so schien es, war sie beides.
»Ich hatte einen beschissenen Tag. Das ist keine Entschuldigung, ich weiß, aber nun sind es zwei Fälle, die ich bearbeiten muss. Mir wächst gerade alles über den Kopf, Schröder liegt im Krankenhaus und …«
Er machte eine Pause, damit sie fragen konnte, was mit Schröder passiert sei, doch sie schwieg. Rauchte und sagte nichts.
»Wo warst du?«, fragte Zorn. »Ich hab mir ein bisschen Sorgen gemacht.«
»Ich habe getrunken.«
»Mit Hermann?«
Zorn glaubte, eine Kopfbewegung wahrzunehmen, die er als Nicken deutete.
»Ich mag ihn nicht.« Zorn versuchte, ruhig zu klingen, sachlich, sie sollte verstehen, was er meinte. »Du kennst mich, ich beurteile Menschen ziemlich schnell, und wahrscheinlich bin ich unfair. Aber ich kann nicht anders. Entschuldige, aber Typen wie Hermann gehen mir auf die Nerven. Er hält sich für einen Intellektuellen, das ist okay, aber …«
»Künstler«, unterbrach ihn Malina ruhig. »Er sagt, er sei Künstler.«
»Noch schlimmer. Menschen, die sich selbst als Künstler bezeichnen, sind keine.«
Malina lachte leise auf. Es klang nicht sehr fröhlich.
»Du musst es ja wissen.«
Zorn wurde wütend.
»Mein Gott, hast du ihn dir überhaupt angeguckt? Diese albernen Klamotten, dieses Hütchen! Er denkt, das sieht lässig aus, aber Typen, die einen Hut brauchen, um cool auszusehen, sind definitiv nicht cool! Coole Menschen tragen keine Hüte!« Zorn merkte, wie er sich verhaspelte, seine Stimme schwoll an. »Es geht um das, was man kann. Und nicht um das, was man anzieht!«
»Lies, was er geschrieben hat. Hör dir seine Musik an.«
»Trotzdem!«
Die Antwort eines Schulkindes. Je lauter Zorn wurde, desto ruhiger schien Malina zu werden. Das machte ihn noch wütender.
»Du kannst mir nicht erzählen, dass er vorhin zufällig da war, Malina.«
»Er hat mich angerufen.« Ihre Stimme klang gelangweilt, etwas schleppend vom Alkohol. »Die letzten zwei Monate war er in London, sie haben an der Musik für den nächsten Tarantinofilm gearbeitet.«
Zorn mochte Tarantino. Vor allem die Musik in seinen Filmen.
Das würde sich ab heute ändern.
Malina drückte die Zigarette aus.
»Ich wollte, dass du ihn kennenlernst.«
Zorn verstand nicht.
»Warum?«
Sie schwieg, dachte nach. Dann griff sie nach ihrem Schlüssel und stand auf.
»Egal. Ich will heute nicht hierbleiben.«
Er wollte sie zurückhalten, sich noch einmal entschuldigen, doch er fand die Worte nicht. Dann, als die Haustür ins Schloss fiel, wurde ihm schlagartig bewusst, worüber sie neulich mit ihm hatte reden wollen, warum sie in den letzten Tagen nicht mit ihm geschlafen hatte, und auch, mit wem Malina den letzten Sommer verbracht haben musste, nachdem sie so plötzlich verschwunden war.
Sie war bei ihm gewesen.
Bei Hermann, dem Gitarre spielenden Tofubratling. Dem Kürbiskernkocher.
Jetzt war er wieder da.
Und es sah ganz
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