Zorn - Wo kein Licht
den Charme einer frisch renovierten Neubauwohnung.
Malina hatte einen Vierertisch ganz hinten, in der Nähe der Toiletten ausgesucht.
»Ist okay«, sagte sie und reichte ihm die Speisekarte. »Ich hab Wein bestellt.«
Sie trug ein schlichtes graues Wollkleid und sah umwerfend aus. Aber das, fand Zorn, war sowieso immer der Fall, egal, was sie anhatte.
Der Kellner, ein dünnes Männchen mit gegeltem Haar, schmalem Schnauzer und Goldkettchen an den Handgelenken, eilte herbei und stellte mit einer schwungvollen Bewegung den Wein, eine Wasserflasche und drei Gläser auf den Tisch.
»Prego, signora.«
Er eilte zum Tresen, dort zapfte ein weiteres dünnes Männchen Bier. Die beiden waren die Inhaber des Restaurants und behaupteten, ein italienisches Brüderpaar zu sein. In Wahrheit, das wusste Zorn, waren sie weder verwandt noch Italiener. Der Kellner nannte sich Luigi, tatsächlich hieß er Jürgen, kam aus Thüringen und kannte das Mittelmeer allenfalls vom Hörensagen. Carlo, der Mann am Tresen, hatte bis vor kurzem eine Würstchenbude am Hallmarkt betrieben. Immerhin, sein Name war echt.
Und das Essen schmeckte, der Rest war Zorn egal.
»Ich bin einfach nicht eher weggekommen.« Er schlug die Karte auf. »Tut mir leid.«
»Es ist okay«, wiederholte Malina.
»Wirklich?«
Bevor sie etwas erwidern konnte, öffnete sich die Tür zur Herrentoilette, ein paar Sekunden später stand ein junger Mann an ihrem Tisch.
»Hi, ich bin Hermann. Du musst Zorn sein. Nett, dich kennenzulernen.«
Verdattert ergriff Zorn die entgegengestreckte Hand, spürte den laschen Druck der langen, feingliedrigen Finger, sie waren noch etwas feucht und rochen nach frischer Seife.
»Hermann ist zufällig vorbeigekommen«, erklärte Malina. »Wir kennen uns schon ewig.«
Hermann nahm wie selbstverständlich Platz, missmutig registrierte Zorn die schlauchförmigen Stretchjeans, das weiße Seidenhemd, den schmalen Schlips und ein keck in den Nacken geschobenes Hütchen, unter dem eine braune Haarsträhne hervorhing.
Zorn schwieg und spürte, wie seine Laune sich dem Nullpunkt näherte.
Der Junge konnte höchstens dreißig sein, das glatte Gesicht und der kaum vorhandene Bartwuchs ließen ihn wesentlich jünger erscheinen. Er war dünn, mehr als fünfundsechzig Kilo brachte er garantiert nicht auf die Waage. Ein Milchbubi, fand Zorn, kein Hermann, sondern ein Hermännchen. Einer, der sich viel zu viel mit seiner Garderobe beschäftigte, wahrscheinlich Stunden vor dem Spiegel verbrachte. Es hatte keine halbe Minute gedauert, und schon wusste Zorn, dass er diesen Kerl nicht mochte, auch in hundert Jahren nicht. Weder das Lächeln noch die selbstverständliche Art, wie er in seinem Sessel hing, den Arm über die Lehne gelegt, den mageren Hintern nach vorn geschoben, die Beine ausgestreckt, als säße er daheim auf dem Sofa. Nein, das alles gefiel Zorn ganz und gar nicht. Vor allem nicht Hermanns Hand auf Malinas Unterarm.
»Malina sagt, du bist Polizist?«
Zorn nickte stumm und schlug die Speisekarte auf.
»Ich glaube«, sagte er zu Malina, »ich nehme das Pfeffersteak.«
Natürlich wusste Zorn, was sie von ihm erwartete. Ein freundliches Gespräch darüber, woher sie und Hermann sich kannten, danach etwas geheucheltes Interesse an dem, was der andere so machte, gefolgt von nichtssagenden Antworten auf ebensolche Fragen, Worthülsen, die im selben Moment, in dem man sie ausgesprochen hatte, schon wieder vergessen waren.
Socialising hieß das, irgendwo hatte er den Begriff einmal gehört.
Blablabla und Pipapo.
Dazu hatte Claudius Zorn nicht die geringste Lust. Er wollte mit Malina allein sein.
»Darf ich?« Hermann nahm ihm die Karte aus der Hand, Zorn beobachtete konsterniert, wie er das Tagesangebot studierte. »Tomatensuppe klingt gut.« Der Junge klappte die Karte zu. »Die nehm ich. Und ein Käsebaguette.«
Zorn sah ihn an.
Du isst hier überhaupt nichts, sagte, nein, brüllte sein Blick. Hau ab, du störst! Verpiss dich, oder ich zieh dir dein albernes Hütchen über die Ohren!
Malina nestelte an ihrer Halskette. Ein Zeichen, dass sie entweder gelangweilt oder fürchterlich gereizt war. Zorn musste kein Hellseher sein, um zu wissen, dass Letzteres der Fall war.
»Und?« Hermann legte die Karte beiseite. »Was macht man so als Polizist?«
»Man langweilt sich.«
Zorn nahm die Brille ab und putzte sie ausgiebig.
Hermann trommelte mit den Fingern auf den Tisch.
Malina griff nach einer geblümten Serviette und faltete sie
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