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Zorn - Wo kein Licht

Zorn - Wo kein Licht

Titel: Zorn - Wo kein Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Ludwig
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sollten all diese Fragen? So hatte er sich zuletzt beim Eignungstest für den gehobenen Dienst gefühlt. Er sprang auf.
    »Das macht dir Spaß, oder?«
    »Wie meinen?«
    Schröders Überraschung war echt.
    »Na ja!« Zorn ruderte mit den Armen durch die Luft. »Was fragst du mich denn hier für Sachen? Ich hab versucht, den Überblick zu behalten, aber irgendwann ist auch mal Schluss! Du willst mir doch nur beweisen, wie ach so unentbehrlich du bist!«
    Schröder strich mit der Hand über die Bettdecke.
    »Niemand macht dir einen Vorwurf, Chef. Du bist ein hervorragender Polizist.«
    »Ich weiß selbst, dass ich keine Ahnung habe!«
    Sie sahen sich an. Zuerst grinste Schröder. Zorn wehrte sich einen Moment, dann hoben sich die Mundwinkel in seinem verknitterten Gesicht.
    Schröder wies auf die Obstschale.
    »Möchtest du einen Apfel?«
    »Nee.«
    »Ist gut für’s Gedächtnis.«
    »Blödmann«, knurrte Zorn und ging zur Tür. »Ich mach mich jetzt los.«
    Schröder drückte einen Knopf am Bett, surrend fuhr das Kopfende in die Waagrechte. Er klopfte das Kissen zurecht, zog die Decke bis zum Hals und faltete die Hände über der Decke.
    »Ich würde dich ja hinausbegleiten. Aber ich habe noch zwei Stunden Bettruhe.«
    »Aber dann beweg deinen Hintern gefälligst ins Präsidium. So schnell wie möglich, wenn ich bitten darf.«
    *
    Er hatte sich einen Platz neben den Garderoben gesucht. Hier, im hintersten Winkel des Gastraums, hatte er die Wand im Rücken und den Eingang im Blick, niemand konnte sich unbemerkt nähern. Was unwichtig war, denn kein Mensch beachtete den Mann mit dem spitzen Rattengesicht und den unruhigen Augen, der seit Stunden hier saß und bereits den vierten Kaffee trank. Es war dämmrig, die schmierigen Fenster filterten das Licht wie eine schmutzige Folie.
    Jeremias Staal winkte den Kellner heran, seine Finger zitterten, doch das kam nicht vom Koffein. Er hatte Schmerzen. Die letzte Nacht hatte er kaum geschlafen, er hatte im Bahnhofsviertel ein Auto aufgebrochen und auf der Rückbank versucht, ein wenig Ruhe zu finden. Es war kalt gewesen, die Wunde am Knie hatte sich entzündet, seine Rippen taten weh, er musste sich etwas gebrochen haben. Fieber hatte er auch, seine Stirn brannte, als würde sie in Flammen stehen.
    Der Kellner brachte den nächsten Kaffee. Gleichgültig blieb er stehen und sah zu, wie Staal die Zeitung zusammenfaltete, in den Hosentaschen nach Kleingeld kramte und wortlos ein paar Münzen auf den Tisch warf.
    Er trank einen Schluck Kaffee und tat, als würde er sich wieder der Zeitung widmen. In Wahrheit beobachtete er den Eingang und überlegte angestrengt, was er als Nächstes tun sollte.
    Sein Geld war fast alle. Er dachte an das Bündel, das er im Auto hatte liegen lassen müssen, über tausend Euro, auch die Brieftasche mit den Kreditkarten lag noch im Handschuhfach. Nach dem Unfall musste er unter Schock gestanden haben, er war einfach gerannt, die Hochstraße entlang, vorbei an rauchenden Autowracks und schreienden Menschen, erst in einer Nebenstraße hatte er einen klaren Gedanken fassen können.
    Er wusste noch, dass die Lenkung plötzlich nicht mehr funktioniert hatte. In dem Moment, als er auf die Leitplanke zuraste, war ihm klargeworden, dass der andere seine Drohung wahrgemacht hatte.
    Dass er, Jeremias Staal, entdeckt worden war.
    Der Kellner stand hinter dem Tresen und spülte Gläser. Hinter ihm hing ein großer Spiegel in einem goldenen, stuckverzierten Rahmen. Staal sah sein eigenes Spiegelbild, den fleckigen Anzug, das teigige Gesicht mit der spitzen Nase, die entzündeten Augen, die blutverkrusteten Hände, mit denen er die Tasse umklammerte. Er wusste, dass er nach Schweiß roch und nach Fieber, dass er nicht mehr lange bleiben durfte. Obwohl er sich sicher fühlte. Hier, in der Öffentlichkeit, würde ihm nichts geschehen. Vorerst nicht.
    Seit zwei Tagen hielt er sich nun versteckt. In seine Wohnung konnte er nicht, das wäre der erste Ort, an dem man ihn suchen würde. Er brauchte seine Medizin, etwas gegen die Schmerzen, gegen das Fieber, doch er traute den Ärzten nicht. Ein lachhafter Gedanke, dann hätte er gleich zur Polizei gehen können.
    Es war jetzt fast Mittag, die Straße vor dem Café belebte sich. Eine Frau in einem Jeansanzug lief vorüber, in der Hand hielt sie eine rote Plastiktüte. Sie sprang zur Seite, ein Radfahrer bremste scharf, schimpfte laut und fuhr weiter. Die Tüte fiel zu Boden, ein halbes Dutzend Äpfel rollte über den

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