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Zorn - Wo kein Licht

Zorn - Wo kein Licht

Titel: Zorn - Wo kein Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Ludwig
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Sonne.
    Er hatte die Nachricht zerknüllt und weggeworfen, doch ein mulmiges Gefühl war geblieben. Über die Zeichnungen hatte er lange nachgedacht, war aber zu keinem Ergebnis gekommen. Eines war klar: Das war kein Scherz, das wusste er, schließlich war er seit fast zwanzig Jahren im Geschäft. Der Autohandel, den er am Stadtrand auf einer kleinen Freifläche betrieb, war nichts weiter als eine Fassade, hinter der sein wahres Leben verborgen blieb. Freunde hatte er nicht. Es gab niemanden, dem er vertraute, er hatte sich immer nur auf sich selbst verlassen. Das hatte er seit er denken konnte so gehalten, es war besser so.
    Jeremias Staal war Kurier. Er transportierte Koffer, deren Inhalt er nicht kannte. Drogen, Bargeld, Dokumente. Es war ihm egal, solange die Bezahlung stimmte. Auch seine Auftraggeber kannte er nicht, er bekam einen Anruf, dann fuhr er nach Amsterdam, Den Haag oder Warschau und nahm die Ware in Empfang. Manchmal zahlte er Geld bei einer libanesischen Bank ein, manchmal kaufte er Autos, die nach Nigeria verschifft wurden, was dann passierte, interessierte ihn nicht.
    Es war ein Geschäft. Sonst nichts.
    Jeremias Staal fragte nicht nach. Er war verschwiegen und zuverlässig, kassierte seine Prozente und verschwand von der Bildfläche. Das war einfach, denn Staal fiel nicht auf. Er sah aus wie ein durchschnittlicher Beamter, harmlos, mit aschblondem, an den Schläfen zurückgehendem Haar und einem blassen Allerweltsgesicht, das man sofort wieder vergaß, wenn man es einmal gesehen hatte. Nur die kleinen unruhigen Augen verrieten, dass er ständig auf der Hut war.
    Bisher hatte er nie einen Fehler gemacht.
    Oder doch? Anonymität war Teil des Geschäfts, doch das, so stellte sich jetzt heraus, wurde zum Problem, denn er hatte keine Ahnung, wer hinter ihm her war. Es musste mit einem seiner letzten Aufträge zu tun haben, eine andere Erklärung gab es nicht.
    DU WIRST DIE WAHRHEIT SAGEN, JEREMIAS STAAL.
    Der letzte Zettel hatte in seiner Manteltasche gesteckt. Dann hatte er den Unfall gehabt. Spätestens da hatte er gewusst, dass es ernst war. Dass ihm jemand dicht auf den Fersen war. Seine Auftraggeber waren kühl kalkulierende Geschäftsmänner, doch wenn es um ihren Profit ging, verstanden sie keinen Spaß. Irgendetwas musste schief gelaufen sein. Nur was?
    In der Ferne heulten Sirenen auf, Blaulicht zuckte über die fleckigen Wände der verlassenen Wohnung. Staal stemmte sich hoch und hinkte zum Fenster. Auf der Hauptstraße rasten Krankenwagen in Richtung Kongresszentrum, er zog sich ins Halbdunkel zurück, obwohl er von der Straße unmöglich gesehen werden konnte.
    Jeremias Staal war ein vorsichtiger Mensch.
    Doch er war dumm gewesen, sehr dumm. Schon oft hatte er sich vorgenommen, ein Versteck anzulegen, wo er Geld und eine Waffe für den Notfall deponieren konnte. Dieser Notfall war jetzt eingetreten, doch es war zu spät. Er hätte es wissen müssen.
    »Ich muss schlafen«, murmelte er und sah auf seine Uhr. »Ich brauche Kraft.«
    Es war kurz nach Mitternacht. Staal zog den Mantel vor der Brust zusammen, schlug den Kragen hoch. Sein Atem bildete feine Rauchwölkchen, er sah sich um, auf der Suche nach etwas, womit er sich zudecken konnte. Er riss die Gardine herunter, einen zerschlissenen, löchrigen Fetzen, roch daran und ließ den Stoff angewidert zu Boden fallen. Es würde auch so gehen.
    Vorsichtig setzte er sich auf die Matratze, lehnte sich mit dem Rücken an die Wand. Ein letzter Schluck Rotwein. Sein Kopf sank auf die Brust.
    Zwei Tage noch, dann würde er das Geld holen. Ein Auto aufbrechen und über die Grenze nach Holland fahren. Dann würde er weitersehen.
    Jeremias Staal begann zu schnarchen.
    Er träumte von weißen Stränden, Palmen, türkisfarbenem, glitzerndem Wasser und Cocktailgläsern, in denen das Eis klimperte. Eine Frau kam auf ihn zugelaufen, sie war nackt, ihre dunkle Haut schimmerte in der Sonne, weiße, exotische Blumen glänzten in ihrem Haar. Er hörte ihre Schritte, sie knirschten auf dem feinen Sand.
    Jeremias Staal lächelte im Schlaf.
    Die Schritte kamen näher. Es waren nicht die bloßen Sohlen einer Frau, sondern Männerfüße in schwarzen Lederschuhen. Sie liefen auch nicht über den feinen Sand einer karibischen Traumwelt, sondern über das rissige Linoleum eines Abrisshauses, sie waren real, wurden langsamer und stoppten schließlich vor der Tür, hinter der Jeremias Staal an der Wand lehnte und schlief.
    Die Tür öffnete sich langsam.
    Er bemerkte es

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