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Zorn - Wo kein Licht

Zorn - Wo kein Licht

Titel: Zorn - Wo kein Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Ludwig
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Zorn, wie müde er war. Auf der Standuhr war es Viertel nach eins. Sie saßen jetzt seit über vier Stunden beisammen.
    »Rufst du mir ein Taxi?«, bat er. »Ich glaube, ich lass das Auto stehen.«
    Schröder schüttelte den Kopf.
    »Du schläfst heute hier. Malina hat gesagt, ich soll dich im Auge behalten.«
    »Nee, Schröder, ich …«
    »Mein Bett ist frisch bezogen. Ich nehm die Couch.«
    Zorn seufzte. Schröder duldete keinen Widerspruch, und der Gedanke, die Nacht allein in seiner Wohnung zu verbringen, gefiel Zorn überhaupt nicht.
    »Danke.«
    »Wofür?«
    »Für alles. Dass ich hier schlafen kann. Und dass du dir den ganzen Mist angehört hast.«
    *
    Später, als Zorn in Schröders Bett lag und den frischen Duft des Kopfkissens einatmete, fragte er sich, warum er sich wohlfühlte, geborgen, hier, in einem kleinen, spießigen Reihenhaus am Rande der Stadt, zwischen alten Möbeln und albernen geblümten Tapeten. Schröder schien eine Gabe zu besitzen, schließlich hatte er wenig gesagt, und doch war es Zorn, als hätte er ihm einen Teil der sprichwörtlichen Last von der Seele genommen. Nach physikalischen Gesichtspunkten konnte sich diese Last nicht einfach so in Luft auflösen, irgendwo musste sie bleiben. Aber wo? Auf Schröders Schultern? War er es, der jetzt Zorns Kreuz zu tragen hatte?
    Ach, dachte Zorn, ich sollte aufhören, in abgedroschenen Bildern zu denken. Morgen ist sowieso alles beim Alten.
    Zorn war klug genug zu wissen, dass es ihm bald wieder schlechter gehen würde. Kurz, bevor er dann endlich einschlief, fiel ihm noch etwas ein: Schröder hatte ihn an diesem Abend nicht ein einziges Mal Chef genannt.
    Zorn träumte schlecht, redete im Schlaf und wälzte sich hin und her. Spürte er, dass Malina bei ihm daheim auf dem Sofa saß und wartete? Vielleicht, jedenfalls merkte er nicht, dass sie nach einer Stunde seine Wohnung verließ, ohne eine Nachricht zu hinterlassen.
    Ebensowenig bekam Zorn mit, dass Schröder im Morgengrauen zu ihm geschlichen kam und ihn vorsichtig zudeckte.

Fünfzehn
    Zorn blinzelte. Die Sonne schien durch einen Spalt in den Gardinen, warf einen Lichtstreifen über die Bettdecke und von dort aus weiter über den Fußboden. Es sah aus, als klettere das Licht die gegenüberliegende Wand empor, wo eine große, buntgefleckte Zeichnung hing.
    Immer noch Altweibersommer, dachte er. So also beginnt ein weiterer Tag im Leben einer weinerlichen Dame, die nur noch am Jammern ist und keine Lust hat, aufzustehen.
    Er drehte sich auf die Seite, vergrub das Gesicht in der Decke und beschloss, ein wenig Trübsal zu blasen. So, wie er es in letzter Zeit häufig tat.
    Das war natürlich nicht immer so gewesen. Vor allem nicht, als Malina noch neben ihm gelegen hatte, da hatte er sich jeden Morgen gut gefühlt. Jetzt wiederum sorgte dieser Gedanke dafür, dass die Trauer ihn erneut einholte und den armen, schlaftrunkenen Hauptkommissar zurück in die Kissen presste.
    Von Ferne erklangen dünne, blecherne Glockenschläge.
    Zorn zählte bis acht und beschloss, dass es an der Zeit war, aufzustehen. Er richtete sich auf, sank aber sofort wieder zurück. Über ihm hing ein sechsarmiger Kronleuchter, der ihn irgendwie an einen verrenkten Tintenfisch erinnerte.
    Er schnupperte. Es roch nach frischem Kaffee. Schröder schien schon wach zu sein.
    Ich werde das alles hinter mir lassen, beschloss er. Malina und diesen ganzen Beziehungskram. Es ist besser, wenn ich allein lebe, ich bin für so was nicht geschaffen. Das sollte ich endlich einsehen. Ja, es wird nicht einfach sein, aber ich muss es zumindest versuchen.
    Kurioserweise gaben ihm diese Gedanken Kraft. Einen Moment noch lag er dösend da und lauschte, ob er nebenan Schröders tippelnde Schritte hören konnte. Als alles still blieb, stand er mit einem Ruck auf, streifte Schröders Pantoffeln über, kratzte sich am Hintern und schlurfte ins Wohnzimmer.
    »Schröder?«
    Das Zimmer war leer. Auf der kleinen Couch lag eine ordentlich zusammengefaltete Tagesdecke, daneben ein Kopfkissen. Das Fenster stand offen, um den engen Raum zu lüften. Der Tisch war abgewischt, das Geschirr verschwunden, stattdessen entdeckte Zorn einen Zettel mit einer Nachricht in Schröders steiler, akkurater Handschrift.
    Bin schon los. Wollte dich nicht wecken, Kaffee ist in der Thermoskanne. Sei nett zu meinen Eltern (wenn du ihnen begegnest). Mach bitte das Fenster zu!
    Zorn goss Kaffee in eine mit Blumen verzierte Porzellantasse und ging ins Bad. Schröder hatte ihm

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