Zorn - Wo kein Licht
Kehle, im Magen. Und im Kopf, wo der Wein langsam zu wirken begann. Der Alkohol tröstete ihn. Und Schröder, der ihm gegenübersaß und ihn aufmerksam ansah.
»Ich hab mich gestern geprügelt. Keine Ahnung, was mit mir los war. Ich bin völlig ausgetickt.«
»Deshalb warst du heute nicht bei der Arbeit.«
»Ja«, nickte Zorn.
Und dann begann er zu erzählen.
Von seiner Angst, als verbitterter alter Mann zu enden, der nur noch mit der eigenen Einsamkeit beschäftigt ist. Von seiner Liebe zu Malina, über die er nicht mit ihr hatte reden können. Von seiner Unfähigkeit, die richtigen Worte zu finden, und sie dann, wenn er sie endlich wusste, auch auszusprechen. Von der Gewissheit, dass dieses Unvermögen ihre Liebe zerstörte. Er sprach von seiner Suche nach einem Sinn und der Antwort auf die Frage, was er überhaupt auf dieser Welt zu suchen hatte.
Dies alles erzählte Claudius Zorn.
Und Schröder hörte zu.
*
»Ich will, dass du gehst, Jan.«
»Bist du sicher?«
»Du hast mich belogen. Ich kann dir nicht vertrauen.«
Er schwieg.
»Lass uns morgen noch einmal reden. Ich will jetzt allein sein.«
»Bist du sicher?«, wiederholte er.
»Geh.«
Das tat er dann auch.
*
Wie lange Zorn geredet hatte, wusste er nicht. Es schienen Stunden vergangen zu sein, die Flasche auf dem Tisch war leer. Er fühlte sich seltsam klar im Kopf, ein wenig beschwipst vielleicht, obwohl er den Wein allein getrunken hatte. Schröder hatte sich mit Mineralwasser begnügt.
»Soll ich noch eine Flasche aufmachen?«, fragte Schröder.
»Klar, das ist ein toller Wein«, nickte Zorn, der einen Château Lafite nicht von einem Pappkanisterwein aus dem Supermarkt unterscheiden konnte. Jedenfalls nicht am Geschmack.
Schweigend beobachtete er, wie Schröder eine neue Flasche holte und mit langsamen, konzentrierten Bewegungen öffnete. Ihm fiel ein, dass er seit Ewigkeiten nicht geraucht hatte. Komisch, er verspürte nicht den geringsten Drang nach einer Zigarette.
Schröder goss ein und prostete Zorn mit seinem Wasserglas zu.
»À votre santé, monsieur.«
» Gracias, Schröder.«
Sie tranken. Die Uhr neben der Tür tickte.
Schröder fuhr mit dem Zeigefinger über den Rand seines Glases.
»Ich weiß, was du jetzt erwartest.«
»Und das wäre?«
»Quid pro quo.«
Das kam Zorn bekannt vor. Aber er hatte keine Ahnung, was Schröder meinte.
»Ich hab keine Ahnung, was du meinst«, sagte er dann auch.
»Du bist nicht Hannibal Lecter. Und ich bin nicht Agent Starling.«
Jetzt begriff Zorn. Das Schweigen der Lämmer. Wie hieß es da? Ich erzähle dir was, und du erzählst mir was. Ja, unterschwellig hatte er wohl genau das erwartet. Er selbst hatte sein Herz ausgeschüttet. Jetzt war Schröder dran.
»Es gibt nichts, was ich dir zu sagen hätte.« Schröder nahm eine Serviette und begann sie zusammenzufalten. »Du weißt bereits zu viel über mich. Wir sind hier nicht in einem Hollywoodfilm. Ich habe dir einmal gesagt, dass ich nie wieder darüber reden werde. Belassen wir’s dabei.«
»Wie du willst.«
Zorn ahnte, dass das, was er einmal über Schröders Kindheit erfahren hatte, nur ein Bruchteil der Wahrheit war. Dass er wahrscheinlich Dinge mit sich herumschleppte, unter deren Last er, Zorn, sofort zusammengebrochen wäre.
»Ich habe gelernt, allein zurechtzukommen.« Schröder breitete die Arme aus. »Sieh dich um, ich bin vierzig und lebe in einer winzigen Studentenbude, in der ein erwachsener Mann nicht einmal aufrecht stehen kann. Aber ich habe diesen Ort genau ausgewählt. Er bietet gerade genug Platz für mich, aber meine Dämonen müssen draußen bleiben. Oder besser gesagt«, er tippte sich an die Stirn, »hier drinnen.«
»Und irgendwann fressen sie dich auf.«
»Vielleicht.« Schröder lächelte. »Aber ich habe meine Arbeit. Das, was ich tue, lenkt mich ab. Und ich mache es gern, weil es etwas Sinnvolles ist. Es stört mich nicht, rund um die Uhr zu arbeiten. Im Gegenteil, es hilft mir. Und ich habe das Glück, dass ich nichts vermisse. Ich sehne mich nicht nach einer Beziehung, weder zu einem Mann noch zu einer Frau. Das ist auch der Grund, weswegen ich dir mit Malina nicht helfen kann. Ich verstehe nichts davon.«
Zorn dachte einen Moment nach.
»Jetzt hast du doch was von dir erzählt«, sagte er dann.
»Stimmt. Kommt nicht wieder vor.«
Im Erdgeschoss öffnete sich eine Tür, Schritte knarrten auf den Dielen.
»Mein Vater.« Schröder deutete zu Boden. »Er schläft schlecht.«
Plötzlich spürte
Weitere Kostenlose Bücher