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Zorn - Wo kein Licht

Zorn - Wo kein Licht

Titel: Zorn - Wo kein Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Ludwig
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ein frisches Handtuch bereitgelegt, neben dem Waschbecken fand er eine neue Zahnbürste.
    Als er dann auf dem Sofa saß, seinen Kaffee trank und sich in Schröders sorgfältig aufgeräumtem Wohnzimmer umsah, beschlich ihn wieder das Gefühl, ein Eindringling zu sein, jemand, der hier nichts zu suchen hatte. Er wusste nichts, absolut nichts über diesen kleinen Mann, der einsam in dieser Puppenstube lebte und, wie er sagte, allein mit seinen Dämonen kämpfte.
    Ein paar Minuten verbrachte er vor Schröders Büchern. Hunderte alphabetisch geordnete Wälzer stapelten sich in dem dunklen Regal. Adorno, Camus, Descartes, Kierkegaard, Wittgenstein. Immerhin, die Namen kannte Zorn, gelesen hatte er nichts davon.
    Er ist mir tausendfach überlegen, dachte Zorn, als er leise die Tür schloss und die enge Treppe hinunterstieg. Intellektuell jedenfalls. Und wahrscheinlich nicht nur mir, sondern den meisten Menschen in seinem Umfeld. Aber er zeigt es nicht.
    Dieser kurze Akt der Erkenntnis wurde von einem gleißenden Schmerz unterbrochen, genauer gesagt von einem Balken, der in Stirnhöhe schräg unter der Decke verlief.
    »Scheiße!«
    Was Kraftausdrücke betraf, war das Vokabular des Claudius Zorn äußerst begrenzt.
    Er stand in der Diele und hielt sich den schmerzenden Kopf. Hinter der Glastür zur Wohnung von Schröders Eltern erschien ein Schatten, die Tür öffnete sich einen Spalt.
    Der Mann war mindestens so groß wie Zorn, obwohl seine Schultern vom Alter gebeugt waren. Seiner Kleidung nach zu urteilen schien er im Begriff, ins Theater oder in die Oper zu gehen, er trug ein steifes, frisch gebügeltes Hemd und eine dunkle Anzughose. Nichts deutete darauf hin, dass er Schröders Vater war, das schlohweiße Haar war zwar ebenso akkurat gescheitelt, aber längst nicht so dünn. Nur die Augen waren vom selben tiefen Blau, der Blick ein wenig glasig, fast verträumt.
    »Rüdiger?«
    In der Hand hielt er ein weißes Geschirrtuch.
    »Ich bin ein Kollege Ihres Sohnes«, erklärte Zorn und erinnerte sich, dass er nett zu Schröders Eltern sein sollte. Sein Kopf dröhnte, trotzdem versuchte er sich in einem höflichen Lächeln. »Es ist gestern ein wenig spät geworden.«
    Der alte Mann runzelte die Stirn. Dann nickte er bedächtig.
    »Ich muss die Kommode abwischen. Man glaubt gar nicht, was sich im Laufe der Jahre für ein Dreck ansammelt.«
    Die Tür schloss sich langsam.
    Als Zorn dann ein wenig verwirrt in der Einfahrt neben dem Volvo stand und das Gesicht in die Sonne hielt, fasste er einen Entschluss.
    Ich werde mein Leben ändern, dachte er. Es gibt ein paar Dinge, die ich tun kann. Zuerst werde ich Malina vergessen, jawohl, das werde ich. Und dann muss ich mich um Schröder kümmern. Er hat niemanden, vielleicht bin ich es ja, der ihm helfen kann.
    Er holte die Zigaretten aus der Brusttasche.
    Und ich könnte aufhören zu rauchen.
    Diesen Vorsatz allerdings verschob Claudius Zorn auf später, und als er den ersten Zug genommen hatte und beobachtete, wie der Rauch kräuselnd nach oben stieg und in der klaren Herbstluft verschwand, wusste er auch, warum. Es schmeckte einfach zu gut.
    Er spürte, dass ihm kalt an den Füßen wurde und sah zu Boden.
    Zunächst wusste er nicht, ob er lachen oder sich selbst ohrfeigen sollte. Dann wurde ihm bewusst, dass er vorerst etwas anderes zu erledigen hatte, und zwar dringend. Wenn er tatsächlich etwas ändern, zu neuen Ufern aufbrechen wollte, war er eindeutig falsch gekleidet. Zumindest, was sein Schuhwerk betraf.
    Er stieß einen resignierten Seufzer aus.
    Seine Füße steckten noch immer in Schröders grauen, verbeulten Filzpantoffeln.
    *
    Ein melodisches Klingeln, die Fahrstuhltür öffnete sich. Frieda Borck trat ein und drückte den Knopf für die vierte Etage. Ein Beamter in Jeans und nach hinten gekämmtem Haar murmelte einen Gruß und machte ihr Platz. Sie kannte ihn flüchtig, er arbeitete ganz oben, beim Erkennungsdienst. Die Staatsanwältin nickte ihm zu, lehnte sich an die verchromte Wand, schloss einen Moment die Augen und spürte die leichte Übelkeit, als der Fahrstuhl anfuhr.
    Wie immer war sie akkurat gekleidet, sie trug einen beigefarbenen Hosenanzug, darunter eine weiße, spitzenbesetzte Bluse. Nur die Ringe unter ihren Augen verrieten, wie schlecht sie geschlafen hatte.
    Genau genommen hatte sie kein Auge zugetan. Zweifel und eine Unsicherheit, die sie sonst selten erlebte, hatten sie wach gehalten. Und die Sorge um Jan Czernyk, den sie einfach weggeschickt

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